Übersicht
Inhalt
- Issa und Aslan: Unsere Gedanken aus dem Knast zur Fußball-Europameisterschaft
- Mr. Afro, Zikibaba und Gypsy: Was soll man mit den vielen Flüchtlingen machen - und wie kann man ihnen helfen?
- Elon Musk: Warum werden Menschen immer radikaler und gewalttätiger?
- Der Schotte und AFG: Was halten wir von Singapur und den Gesetzen dort?
- Weitere Haftnotizen
„Draußen“ in ganz Deutschland findet gerade die Fußball-Europameisterschaft statt. Überall im Land wird die besondere Stimmung gefeiert. Wie sich das „drinnen“ im Gefängnis anfühlt, ist ein Thema dieser HAFTNOTIZEN. Außerdem machen sich die Autoren Gedanken über die Lage von geflüchteten Menschen in Deutschland. Sie hinterfragen das saubere und sichere Image von Singapur und definieren, was Radikalität für sie bedeutet.
Hinweis: Die Klarnamen der Verfasser sind durch Pseudonyme ersetzt.
Meinungsfreiheit
Wie immer ist uns Meinungsfreiheit sehr wichtig – deshalb äußert der jeweilige Verfasser seine ganz persönliche Meinung, die nicht unbedingt vom gesamten Team der Haftnotizen geteilt werden muss.
Schreibtrainerin: Tania Kibermanis
Issa und Aslan: Unsere Gedanken aus dem Knast zur Fußball-Europameisterschaft
Text von Issa und Aslan (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Issa: Mir ist die EM eigentlich egal, aber weil ich in Haft bin, gucke ich mir die Spiele an, weil ich viel Freizeit habe. Wenn ich draußen bin, schaue ich eigentlich so gut wie gar kein Fernsehen, und für Fußball interessiere ich mich so gut wie gar nicht. Ich bin stattdessen viel lieber mit meiner Familie zusammen, mit meinem Sohn und meiner Frau. Die Zeit vergeht in meiner Zelle sehr langsam, durch die EM vergeht sie ein bisschen schneller.
Ich komme ursprünglich aus Spanien, meine Eltern kommen aus Rumänien. Seit neun Jahren lebe ich jetzt hier in Deutschland. Und irgendwie ist es jetzt doch dazu gekommen, dass ich nun für Deutschland fiebere, und hoffe, dass Deutschland die EM gewinnt. Die Spiele mit Spanien und Rumänien schaue ich auch gerne – aber gewinnen soll Deutschland. Es ist die erste EM in meinem Leben, die ich schaue.
Aslan: Dieses Jahr findet die EM in Deutschland statt, und die Stimmung im Land ist großartig. Die Menschen feiern alle eng zusammen, und alle sind glücklich. Ich bin zurzeit im Gefängnis und hätte mir meine Verhaftung lieber nach der EM gewünscht. Dass ich dieses einzigartige Ereignis verpasse, macht mich ziemlich sauer – das Gefühl, dass in meiner Stadt alle meine Freunde und Familie feiern und die Nationalmannschaft direkt vor der Tür spielt. All das macht mich irre. Aber es ist eine lustige und außergewöhnliche Erfahrung, mein Team dann eben aus dem Knast zu unterstützen. Es macht Spaß – alle feiern bei jedem Tor, der ganze Knast schreit, für eine Minute ist es überall laut. Eine Ablenkung für 90 Minuten, das Eingesperrtsein mal kurz vergessen. Am Fenster mit Freunden zu sprechen und um Tabak zu wetten.
Aber reichen die Sicherheitsmaßnahmen für die Menschen da draußen? Laut einer Umfrage haben die meisten Leute angegeben, dass sie dem Sicherheitskonzept der Polizei vertrauen und keine Angst haben. Für Terroristen wäre die EM ein optimales Ziel. Aber ich persönlich mache mir auch keine Sorgen. Ich würde draußen aber immer aufpassen, weil viele betrunkene Menschen unterwegs sind. Ich vertraue der (Hamburger) Polizei, dass sie terroristische Anschläge verhindern kann und so viel Präsenz zeigt, falls sexuelle Belästigungen oder körperliche Auseinandersetzungen passieren. Ich fühle mich auch besser, weil ich weiß, dass da draußen beim Public Viewing auf meine Freundin aufgepasst wird, und dann kann ich auch hier in meiner Zelle besser schlafen.
Mr. Afro, Zikibaba und Gypsy: Was soll man mit den vielen Flüchtlingen machen - und wie kann man ihnen helfen?
Text von Mr. Afro, Zikibaba und Gypsy (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Ich finde, man sollte zuerst unterscheiden, warum ein Mensch geflüchtet ist. Es gibt Menschen, die flüchten, weil sie ihr Zuhause, ihre Familie oder ihre Arbeit verloren haben. Es gibt solche, die flüchten, weil sie generell in Armut leben. Es gibt aber auch welche, die flüchten, weil sie woanders einen besseren Lebensstandard und Wohlstand erhoffen. Unserer Meinung nach sollte man als erstes die Flüchtlinge aufnehmen, die es wirklich nötig haben. Solange es Platz gibt, sollte man diese aufnehmen, und man sollte sie mit allem unterstützen, was nötig ist, was die Unterbringung und einen Arbeitsplatz betrifft. Auch die medizinische Versorgung müsste gesichert sein, besonders von Kindern. Es muss Plätze für die geflüchteten Kinder in den Schulen sowie den Kindergärten geben, um die Integration zu fördern, damit die Kinder eine Chance haben, sich irgendwann eine Zukunft aufzubauen.
Was soll man mit den Flüchtlingen machen, die nach Deutschland kommen, nur um hier illegales Geld zu verdienen? Unserer Meinung nach sollten die Flüchtlinge zurück in ihre Heimat abgeschoben werden und eine Deutschlandsperre bekommen, weil in Deutschland die Strafen leider zu niedrig sind – man kommt für eine kürzere Zeit als in anderen Ländern in Haft, und das ist für die Steuerkasse nach einer gewissen Zeit sehr spürbar, weil ein Inhaftierter den deutschen Staat ungefähr 175-250 Euro am Tag kostet, und diese Steuergelder könnten für andere Flüchtlinge, die in Deutschland keine Straftaten begehen, besser investiert werden, indem man sie mit diesem Geld unterstützt, sich hier ein legales Leben aufzubauen.
Gypsy sieht das etwas anders: Ich persönlich finde Abschiebungen größtenteils unnötig. Die geflüchteten Personen, die nach Deutschland kommen, kommen ja nicht ohne Grund. In deren Land ist meistens Krieg, und da ist es für mich verständlich, dass sie flüchten, um dem Krieg zu entkommen. Hier in Deutschland können sie halbwegs neu anfangen, und nur die Geflüchteten, die hier Scheiße bauen, Straftaten begehen und sich nicht an die Regeln halten, sollten meiner Meinung nach abgeschoben werden. Allerdings nicht in die Kriegsgebiete zurück, aus denen sie kommen, sondern nach Frankreich oder sonst wo hin. Es ist ja auch nicht menschlich, dass Leute in den Krieg zurückgeschickt werden, wo sie jeden Tag um ihr Leben fürchten müssen.
Flüchtling könnten der deutschen Gesellschaft auch sehr helfen, zum Beispiel gibt es viele offene Stellen in der Pflege. Und auch Ausbildungsplätze – in Deutschland ist das Handwerk gerade sehr mager, da viele Flüchtlinge hier sind, aber nicht arbeiten dürfen. Man kann sich natürlich nicht um alle Flüchtlinge kümmern, die hierherkommen. Alle europäischen Länder, die Kapazitäten haben, sollten sich gemeinsam um das Flüchtlingsproblem kümmern.
Elon Musk: Warum werden Menschen immer radikaler und gewalttätiger?
Text von Elon Musk (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Meiner Meinung nach bedeutet Radikalität, dass man zu Gewalt bereit ist und Gewalt auch als erste Lösung für einen Konflikt sieht. Es bedeutet, dass man nur an sich denkt und keine andere Meinung außer der eigenen zulässt. Und es bedeutet, dass man andere Leute gar nicht mehr als Menschen ansieht, sondern sie nur wegen ihres Aussehens, ihrer Meinung oder ihrer Religion diskriminiert.
Ich habe den Eindruck, dass Menschen immer gieriger werden, immer mehr wollen und sich nicht mit weniger zufrieden geben können. Wenn sie nicht kriegen, was sie wollen, werden sie schnell gewalttätig. Weil sie denken, dass daran irgendjemand schuld sein muss. Viele wollen sich wahrscheinlich auch vor Anderen beweisen und glauben, mit Gewalt mehr Ansehen zu erlangen. Manche konsumieren auch viel zu viel Social Media und radikalisieren sich damit ganz alleine.
Der Schotte und AFG: Was halten wir von Singapur und den Gesetzen dort?
Text von Der Schotte und AFG (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Wir haben vor Kurzem im Fernsehen eine Dokumentation über Singapur gesehen – und die meiste Zeit wurde nur darüber gesprochen, wie schön und sauber dieses Land, wie niedrig die Kriminalitätsrate dort ist. Natürlich leben dort viele erfolgreiche Leute, die Immobilienpreise sind unglaublich hoch, und alle Einwohner schwärmen von ihrem Land. Doch wieso ist Singapur eigentlich so frei von Kriminalität, und weshalb ist auch dort die Umweltverschmutzung so gering? Es liegt daran, dass in Singapur knallharte Strafen für Gesetzesbrüche und Regelverstöße gelten. Für eine weggeworfene Zigarettenkippe zahlt man bis zu tausend Euro Strafe, für ausgespuckte Kaugummis sogar noch mehr. Versteht uns nicht falsch – wir finden es gut, dass sich dieses Land so sehr dafür einsetzt, die Umweltverschmutzung gering zu halten. Und wie man sieht, funktioniert es ja auch. Andere Länder sollten sich daran ein Beispiel nehmen. Doch wir finden die Haftstrafen in Singapur absolut unmenschlich. Ganz besonders in Sachen Drogen: Fürs Konsumieren von Drogen kann man lebenslänglich ins Gefängnis kommen, und fürs Verkaufen droht die Todesstrafe. Wir finden, dass das der falsche Weg ist, um mit diesem Thema umzugehen. Einen Menschen ein Leben lang einzusperren, nur weil dieser Drogen konsumiert – das ist doch absurd. Als wäre dieser Mensch mit einem Mal Abschaum und es nicht mehr wert, ein Teil dieser Gesellschaft zu sein. Dass er für seine Sucht oder fürs Ausprobieren nie wieder ein normales Leben führen darf, kann und sollte kein Gesetz sein.
Wir verstehen nicht, wie die Regierung und die Menschen, die in diesem Land leben, so etwas zulassen können. Und das alles auch noch schönreden, mit Stolz über die niedrige Kriminalitätsrate. Natürlich ist sie so gering, wenn man so absurde Strafen verhängt. Stattdessen sollten sie in Singapur lieber die Konsumenten aufklären oder zur Therapie schicken, aber doch nicht lebenslänglich ins Gefängnis – wenn wir darüber nachdenken, werden wir richtig sauer. Deutschland legalisiert Cannabis, und zur gleichen Zeit steckt Singapur die Konsumenten von Cannabis ein Leben lang in den Knast. Dealer erwartet die Todesstrafe – was auch einfach nicht sein kann. Dealer von harten Drogen sollte man schon ins Gefängnis stecken, damit sie daraus lernen und ihre Fehler bereuen, doch sie für einen Fehler umzubringen, den sie begangen haben – das kann nicht richtig sein. Es schreckt zwar bestimmt andere Dealer ab, doch so kann mit diesem Problem nicht umgegangen werden. Einem Menschen einfach das Leben zu beenden, weil dieser Drogen verkauft, kann nicht der richtige Weg sein. Sonst könnte man ja auch gleich die Todesstrafe für jede Gesetzesmissachtung einführen.
Die Todesstrafe sollte es unserer Meinung nach für gar nichts geben, auch wenn es schon echt schlimme Menschen gibt, die es sicherlich verdient haben. Doch wir sind der Meinung, dass weder Menschen noch Länder über Leben und Tod zu entscheiden haben. In Singapur wurden letzten Sommer sechs Hinrichtungen durchgeführt. Trotzdem ist dieses Land immer noch so populär. Singapur geht gut mit dem Thema Umweltverschmutzung um, und sicherlich ist es ein schönes Land. Aber für seine Gesetze kann man es schon auch verachten.
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DIE HAFTNOTIZEN
Kolumne mit kreativen Texten aus der JVA Hahnöfersand
Die Autoren sind allesamt Jugendliche und junge Erwachsene aus der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand. Sie nehmen an der dortigen Gruppe für kreatives Schreiben teil, mit der fachlichen Begleitung der Autorin und Schreibtrainerin Tania Kibermanis.