Wow, schon 50 Ausgaben mit insgesamt 222 Beiträgen in vier Jahren!
Den Auftakt dieser Jubiläumsausgabe macht Der Schotte, ein regelmäßiger Verfasser der HAFTNOTIZEN. Was für eine schöne Rückmeldung über dieses besondere Schreibprojekt. Vielen Dank an alle bisherigen und kommenden Schreiber. Ohne euch würde es die HAFTNOTIZEN nicht geben! Seit der ersten Ausgabe ist die Autorin und Schreibtrainerin Tania Kibermanis die unfassbar engagierte, kluge und kreative Seele, die dafür sorgt, dass die Gedanken aufs Papier fließen und ihren Weg in die Öffentlichkeit finden. Auch dir, liebe Tania, gebührt ein riesengroßer Dank (lobhudelt das JIZ-Team)! Parallel entstehen im Kunstprojekt STABIL in der JVA immer wieder Bilder, die die HAFTNOTIZEN illustrieren. Darüber freuen wir uns ebenfalls sehr.
Natürlich gibt es in dieser Ausgabe noch mehr Beiträge. Viel Spaß beim Lesen und auf viele weitere Texte!
Hinweis: Die Klarnamen der Verfasser sind durch Pseudonyme ersetzt.
Meinungsfreiheit
Wie immer ist uns Meinungsfreiheit sehr wichtig – deshalb äußert der jeweilige Verfasser seine ganz persönliche Meinung, die nicht unbedingt vom gesamten Team der Haftnotizen geteilt werden muss.
Schreibtrainerin: Tania Kibermanis
Der Schotte: Meine Erfahrungen bei den Haftnotizen
Text von Der Schotte (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Ich bin seit etwa zwei Jahren bei den Haftnotizen, habe hier eine Menge Menschen kennengelernt und viele unvergessliche Momente hier erlebt. Die Haftnotizen haben mir die Zeit in der Haft erträglicher gemacht und mir viel mehr gebracht, als ich mir vor zwei Jahren hätte vorstellen können. Es hat mir ein Sprachrohr geboten, ich habe gelernt, meine Gedanken und Gefühle auf den Punkt zu bringen und einen Text daraus zu machen. Aber die Haftnotizen sind viel mehr, als nur Texte zu schreiben. Es werden oft Diskussionen über aktuelle Themen geführt. Jeder kann hier seinen Punkt vertreten und erklären, warum er so denkt. Erst recht große Themen wie der Ukraine-Krieg oder der Israel-Palästina-Konflikt werden hier heiß debattiert. Aber es wird nicht nur über Politik gesprochen – auch Themen, die uns belasten, finden hier immer ein offenes Ohr.
Für neue Teilnehmer, die zum Beispiel zum ersten Mal in Haft sind, ist das ein guter Ort, um anzukommen. Man lernt Leute kennen, kommt ins Gespräch, man findet viel heraus und kriegt einige Tipps, um die Haft besser durchzustehen. Die erfahreneren Insassen erzählen beispielsweise, was sie bis jetzt in der Haft erlebt haben. Berichten und schreiben über ihre Erfahrungen und raten den Neuen dann davon ab, die gleichen Fehler zu machen. Und erzählen, wie man seine Haftzeit am sinnvollsten nutzen kann.
Als ich vor zwei Jahren zu den Haftnotizen kam, wurden mir einige dumme Ideen ausgeredet, einige Gerüchte über die Haft wurden widerlegt. Mittlerweile habe ich verstanden, wie es hier in der JVA läuft, und erzähle den Leuten von meinen Erfahrungen. Die Haftnotizen bringen uns näher zusammen, man beginnt, mit eigentlich fremden Leuten Texte zu schreiben und über Gott und die Welt zu sprechen. Für mich ist das ein Ort, an dem ich abschalten und meine Gedanken teilen kann.
Gypsy: Wie die Zeit hier im Knast so vergeht
Text von Gypsy (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Die Zeit hier im Knast vergeht meiner Meinung nach überraschend schnell. Am Anfang, als ich gerade wieder hier in H-Sand angekommen war, war mein Kopf echt gefickt. Ich hatte mich selbst gestellt, bin in die Wache gegangen, habe meinen Ausweis vorgelegt, und dann wurde ich mit nach hinten genommen, hab meine Tasche abgegeben und wurde dann in eine Zelle gebracht. Musste dort ein, zwei Stunden warten, bis ich zum Dammtor (Untersuchungsgefängnis, Anm.der Red.) gefahren wurde. Dort wurde ich für ein paar Stunden in eine Sammelzelle gepackt, mit irgendwelchen stinkenden Typen. Nach ein paar Stunden wurde ich mit ein paar anderen aus der Zelle geholt, wurde allein in einen Raum gebracht, wo ich mich umziehen musste. Danach durfte ich für drei Minuten telefonieren. Dann konnte ich duschen und wurde danach in meine Zelle gebracht. Weil ich mich ausgerechnet an einem Freitag gestellt hatte, musste ich bis zum nächsten Montag am Dammtor bleiben und wurde dann erst nach H-Sand transportiert.
In dieser ganzen Zeit wusste ich nicht, wie es meinem Bruder, meinem Onkel oder meiner Freundin geht. Nach einer Woche konnte ich endlich anrufen und mich vergewissern, dass es meiner Freundin und meiner Familie gut geht. Nach ungefähr einem Monat wurde ich dann Hausarbeiter, und mit der Arbeit verging die Zeit plötzlich wie im Flug – zwei, drei, vier, fünf, sechs Monate sind so schnell vergangen. Meiner Meinung nach liegt es aber auch daran, dass man die Zeit hier drinnen richtig nutzen muss. Man muss wirklich alles mitnehmen, was man hier in der JVA an Angeboten mitnehmen kann: ESA (erster Schulabschluss, Anm. d. Red.), Sport, Ausbildung, Legato und so weiter. Legato ist eine zehnköpfige Gruppe, die in drei Monaten über verschiedene Themen diskutiert – über Politik beispielsweise, über Terrorismus, Geld und noch viele weitere Dinge. Das würde jetzt hier zu weit führen. 🙂
Die Arbeit ist, wie gesagt, auch eine sehr gute Beschäftigung, um die Zeit hier ein bisschen totzuschlagen – du bist von morgens 7:00 bis nachmittags 13:20 Uhr auf Arbeit, kommst dann zurück aufs Haus, gehst noch kurz telefonieren oder duschen, chillst dann bis zur Freistunde in deiner Zelle, guckst ein bisschen Fernsehen oder gehst schlafen. Wenn du deine Zeit hier richtig nutzt, bist du im Nu wieder draußen.
O.M.E.: Was denkst du über selbstfahrende Autos?
Text von O.M.E. (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Ich finde selbstfahrende Autos nicht so gut, weil die ja noch nicht richtig erforscht sind. Wenn es auf den Straßen selbstfahrende Autos geben würde, wäre ich etwas ängstlich, dass ein Unfall passiert. Man hat keine Kontrolle über das Auto, das fährt von alleine. Und wenn man von außen sehen würde, dass gleich etwas passiert, könnte man den Fahrer nicht warnen und gar nicht eingreifen.
Wenn man als Beifahrer mal irgendwo bei einer Person mitfährt, obwohl man selbst auch einen Führerschein hat, ist man meistens auch ein bisschen verunsichert – also bei mir ist das so, weil ich selbst in diesem Moment keine Kontrolle über das Fahrzeug habe. Ich finde es viel besser, ein Auto selbst zu steuern, das mag ich viel lieber.
Natürlich kann man nicht immer selbst am Steuer sitzen, zum Beispiel im Alkoholrausch. In diesem Fall wären selbstfahrende Autos natürlich gut, für Leute nach der Party.
Hala Madrid: Warum ich gerne Fußball spiele
Text von Hala Madrid (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Ich spiele gerne Fußball, weil es mich auslastet und ich sehr großen Spaß daran habe. Ich persönlich bin Mittelstürmer und liebe das Gefühl, Tore zu schießen – so wie andere Spieler es mögen, den Ball in letzter Sekunde zu verteidigen. Wie viele Menschen haben auch ich ein Fußballidol und einen Lieblingsverein, den ich am liebsten auch live in Stadion unterstützen will: Mein Fußballidol ist Cristiano Ronaldo. Er ist nicht nur einer der besten Fußballer der Welt – er ist auch ein Herzensmensch. Er hat sogar seinen Ballon D’or Pokal verkauft und das Geld an Kinder gespendet, die Krebs haben. Außerdem hat er eine richtig schöne Frau, Georgina Rodriguez, sie ist Model, und mit ihr hat Ronaldo, der insgesamt fünf Kinder hat, zwei Töchter.
Ich habe schon als kleines Kind Fußball faszinierend gefunden und habe mit neun Jahren angefangen, selbst zu spielen, heute spiele ich immer noch. Mein Traum wäre es, bei Real Madrid zu spielen, dort sind die besten Spieler der Welt, zum Beispiel Vinicius Junior, Jude Bellingham, James Rodriguez. Unter anderem haben dort auch schon Kylian Mbappe und Karim Benzema gespielt – dieser Verein hat Rekorde aufgestellt wie noch kein anderer, und daher ist er der beste der Welt.
Gypsy: Wenn ich berühmt wäre, dann als ...
Text von Gypsy (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Sportler. Als ich in die fünfte Klasse gekommen bin, habe ich mit Sport angefangen. Meine erste Sportart war Volleyball, da ich die Möglichkeit hatte, in eine sportunterstützte Klasse zu kommen. Dafür musste man einen Sporttest absolvieren, in verschiedenen Kategorien: Sprint, Standweitsprung, Standhochsprung, 6-Minuten-Lauf und Weitwurf. Wenn man einen bestimmten Score erreicht hatte, hat man einen Brief mit einer Zusage bekommen und wurde dann zu einer Zuteilung eingeladen. Ich wurde an diesem Tag der 5e+ zugeteilt. Ab dann lief bis zur 7. Klasse alles gut. Volleyball lief Bombe, und ab der 6. Klasse habe ich dann auch noch mit Leichtathletik angefangen. Meine Stärke war Weitwurf, und ich war am Ende so gut, dass ich an den Hamburger Meisterschaften teilnehmen konnte, insgesamt sogar zweimal. Dort gewann ich zweimal Gold im Weitwurf mit 200g und Bronze im Kugelstoßen, wenn ich mich richtig erinnere. Meine Sportlerkarriere, wenn man das so nennen kann, lief richtig gut. Bis ich dann angefangen habe, zu kiffen und zu trinken. Ab da ging mein Sport den Bach runter, und nach und nach habe ich mein Training vernachlässigt.
Hätte ich das stattdessen durchgezogen – wer weiß, wo ich heute wäre. Vielleicht fange ich draußen auch wieder mit Leichtathletik an. Aber erstmal muss ich mir eine Arbeit und eine Wohnung für meine Freundin und mich suchen. Dann kann ich gucken, ob die Möglichkeit besteht, dass Leichtathletik irgendwo noch in meinen Tagesablauf reinpasst.
Sultan: Disziplin und Struktur
Text von Sultan (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Ich finde, es sollten mehr Menschen eine militärische Ausbildung machen. Auch, damit man mehr Disziplin und Struktur bekommt. Und gerade hier in Deutschland ist das sehr gut, denn man bekommt bei der Bundeswehr gutes Gehalt. Und eine militärische Ausbildung und Selbstverteidigung mit und ohne Waffen ist nie falsch. Gerade heutzutage ist die Lage so angespannt, die ganzen Kriege überall, zum Beispiel in der Ukraine. Die Menschen dort machen mitten im Krieg noch eine Ausbildung zum Soldaten – deshalb finde ich, das könnte man ruhig auch schon vorher tun. Wussten Sie eigentlich, dass die Bundeswehr einer der größten Arbeitgeber in Deutschland ist? Man kann dort 72 verschiedene Berufe lernen, unter anderem Metallbauer, Chemielaborant und Systeminformatiker. Wenn man jedoch direkt Soldat werden will, muss man eine militärische Grundausbildung absolvieren. Für den Dienst an der Waffe muss man mindestens 17 Jahre alt sein, größer als 1,55 Meter und einen Schulabschluss haben. Dann hat man schon mal die ersten Hürden überstanden, um bei der Bundeswehr anzufangen. Und sportlich wird man dabei auch.
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Die Verfasser der Artikel freuen sich sehr über Feedback zu ihren Texten. Schreibt uns gerne Lob und Kritik an jugendinfo@bsb.hamburg.de und wir leiten eure Rückmeldungen (anonymisiert) weiter.
DIE HAFTNOTIZEN
Kolumne mit kreativen Texten aus der JVA Hahnöfersand
Die Autoren sind allesamt Jugendliche und junge Erwachsene aus der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand. Sie nehmen an der dortigen Gruppe für kreatives Schreiben teil, mit der fachlichen Begleitung der Autorin und Schreibtrainerin Tania Kibermanis.