Haftnotizen Ausgabe 52

Übersicht

Das diktatorische Assad-Regime in Syrien ist gekippt. Bei den Verfassern dieser HAFTNOTIZEN gesellt sich zu der Freude und Erleichterung auch der kritische Blick darauf, wie es nun weitergeht. Andere Konflikte und Kriege gehen unvermindert weiter. Wie ist es, all das aus der Haft heraus zu verfolgen? 

Hinweis: Die Klarnamen der Verfasser sind durch Pseudonyme ersetzt.

Meinungsfreiheit

Wie immer ist uns Meinungsfreiheit sehr wichtig – deshalb äußert der jeweilige Verfasser seine ganz persönliche Meinung, die nicht unbedingt vom gesamten Team der Haftnotizen geteilt werden muss.

Schreibtrainerin: Tania Kibermanis


61Kurdi: Der Wunsch nach einer friedlichen Welt

Text von 61Kurdi (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)

Ich finde es gut, wenn es keinen Krieg mehr gibt, denn dann kann jeder, der es will, friedlich in seinem Land leben, und braucht keine Angst zu haben, getötet zu werden. Ohne in andere Länder reisen zu müssen, um dort ein besseres Leben zu leben.

Es wäre gut, wenn jeder in seinem Land gut und friedlich leben könnte – zum Beispiel ich komme aus Syrien, und vor ungefähr 10 Jahren, als der Krieg anfing, war ich sechs Jahre alt. Ich bin damals mit meiner Familie in die Türkei geflüchtet, dort waren wir ein paar Monate. Dann hat sich der Krieg wieder ein bisschen beruhigt, wir sind zurück nach Syrien, und als es wieder schlimmer wurde, wieder zurück in die Türkei. Dann sind wir nach Dänemark gekommen, weil mein Vater schon vor uns dort war. Er hatte auch schon Papiere, aber meine Mutter, meine Geschwister und ich haben dort keine Papiere bekommen. Von Dänemark sind wir dann nach Deutschland gekommen, und hier haben wir alle Papiere gekriegt. Und leben glücklich hier. Aber gäbe es keinen Krieg, wäre ich in meinem Land. Und auch wenn es in der Ukraine und vielen anderen Ländern keinen Krieg geben würde, könnte jeder in seinem Land leben, und es gäbe weniger tote Menschen.

Alle haben mehrere Jahre gebraucht, um ihre Häuser aufzubauen – und jetzt sind sie kaputt, oder jemand kommt und übernimmt sie. Mit den Häusern ist es genauso wie mit den Ländern, weil jetzt andere in deinem Land mehr zu sagen haben. Und du darfst nichts sagen, und dich nicht wehren, weil du ihnen dein Haus nicht geben willst, sonst töten sie dich.

Inzwischen wurde die Hauptstadt Syriens wieder zurückerobert, und die Menschen dort sind jetzt alle glücklich und frei. Trotzdem gibt es viele Zweifel, wie es mit Syrien weitergeht. Wir können alle nur auf Frieden und Demokratie hoffen – was viele Kritiker aber bezweifeln.

Was ich hier in Deutschland nicht gut finde: dass die Ukrainer hierbleiben dürfen, aber uns Syrern und Afghanen drohen sie damit, dass sie uns abschieben wollen. In der Ukraine, in Syrien und in Afghanistan ist immer noch Krieg – aber wenn ein Syrer oder Afghane hier Probleme oder was Schlechtes macht, dann sollen gleich alle Syrer und Afghanen abgeschoben werden.

Die Ukrainer bekommen Arbeit und gehen sofort in die Schule, das finde ich gar nicht gut. Mensch ist Mensch – egal, woher man kommt. Nur weil ein paar Leute aus Syrien und Afghanistan in Deutschland Scheiße gebaut haben, dann darf man nicht gleich denken, dass alle Menschen aus diesen Ländern schlecht sind. Und damit sage ich nicht, dass alle Deutschen so denken. Es gibt auch viele, die nicht so sind und uns mögen. Und uns behandeln wie Menschen.


Picoballer: What happens with Syria?

Text von Picoballer (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)

Syrien ist endlich befreit vom Assad-Regime – nach 54 Jahren Diktatur, Schmerz, Leid und vielen Toten ist es endlich vorbei. Bis Sonntag, den 8. Dezember 2024 war Bashar Al-Assad der Machthaber Syriens – was bedeutete das für das Land in den letzten Jahrzehnten?

Syrien war ein Land, in dem es keine Menschenrechte, Meinungsfreiheit und keine Demokratie gab, so dass jeder, der nicht Assads Meinung war, oder nicht befolgte, was der Diktator wollte, von Assads Regierungstruppen entführt und in sogenannte Foltergefängnisse gebracht wurde. Dort wurde geschlagen, schwer misshandelt und getötet – es war das bekannteste Staatsgefängnis in der Hauptstadt Damaskus. In der Zeit, in der Bashar Al-Assad der Machthaber Syriens war, wurde er vom russischen Diktator Putin unterstützt. Russland hat militärische Stützpunkte in Syrien, einen Luftwaffenstützpunkt und eine wichtige Marineflotte.

Viele Millionen Menschen flüchteten aus Syrien in die Nachbarländer, von dort aus nach Europa, und viele kamen auch zu uns nach Deutschland, da in Syrien viel Krieg, Leid und Zerstörung herrscht. Unter anderem gab es auch Angriffe vom gefürchteten IS und von Rebellentruppen. Assad flüchtete am 8. Dezember 2024 mit seiner Familie nach Moskau und tauchte dort unter. Somit ist an diesem Tag das Assad-Regime gefallen, was für Syrien und seine Einwohner der beste Tag seit 54 Jahren war.

Syrien hat Israel viel zu verdanken, da Israel einen Großteil der militärischen Stützpunkte in Syrien angriff, Depots und Stützpunkte des IS zerstörte, ebenso wie die syrische Marineflotte – insgesamt ca. 480 Ziele. Der gefürchtete IS verursachte in Syrien viel Leid und Tote: Zivilisten wurden beklaut, entführt, und alles, was sie hatten – ob Auto, Wohnung, Schmuck oder andere Wertsachen – wurde ihnen abgenommen. Kurdische Truppen kämpfen seit Jahren in Syrien gegen den IS und konnte auch die Stadt Al-Hasaka wieder zurückerobern. Die Rebellengruppe HTS kämpft auch in Syrien gegen den IS und hat seit kurzem die Hauptstadt Damaskus zurückerobert. Im Norden Syriens sind noch viele Kämpfe, und auch der Osten ist noch längst kein sicheres Gebiet. Israel und der Irak haben viele Terroristen angegriffen und für sie ein Gefängnis gebaut, in dem vor allem IS-Terroristen einsitzen.

Was hat sich für Syrien also seit dem 8. Dezember 2024 geändert? Die Menschen dort sind endlich frei, und die Gefangenen wurden aus den Foltergefängnissen entlassen. Es gibt auch keine Ausgangssperre mehr, die Leute können endlich frei herumlaufen, leben und neue Strukturen aufbauen. Seit dem 8. Dezember gibt es eine Übergangsregierung, die von der islamistischen HTS-Rebellengruppe geführt wird – was viele Syrer feiern, weil sie hinter der HTS stehen. Es gibt aber genauso viele Kritiker, die sich deshalb Sorgen um die Zukunft Syriens machen. Die Nachbarländer Syriens und viele Menschen dort sagen, wir sollten der HTS eine Chance geben. Der Anführer der HTS ist der 42-jährige Mohammed al-Jolani, der aber nicht unbedingt die weißeste Weste hat. Er war früher selbst islamistischer Kämpfer in Syrien, jetzt verspricht er Syrien Demokratie, Sicherheit und garantierte Rechte für alle Glaubensrichtungen. Er sagt, er möchte ein neues, freies Syrien aufbauen. Allerdings soll es in der Politik keine Frauen geben, und Frauen sollten zukünftig auch nicht als Richterinnen arbeiten dürfen. Somit hätten syrische Frauen also nicht dieselben Rechte wie syrische Männer. Der Großteil des Landes ist völlig zerstört, und über 200.000 Menschen werden vermisst. 55.000 Menschen wurden nach teils Jahrzehnten endlich aus dem berüchtigten Foltergefängnis befreit.

Stellt euch mal vor: Menschen, die eine andere Meinung oder einen anderen Glauben haben als Bashar al-Assad, werden verhaftet, entführt, für Jahrzehnte eingesperrt und unter menschenunwürdigen Bedingungen gefoltert oder getötet. Sowas zu erleben ist schrecklich, da man sich ja ständig die Frage stellt: Komme ich jemals aus diesem Gefängnis raus – oder sterbe ich hier?

Wie geht’s also jetzt weiter mit Syrien? Viele Syrer nehmen an, dass Assad Rache nehmen und mit der Hilfe von Russland zurückschlagen könnte. Viele Syrer haben Angst vor der Zukunft, aber sie möchten auch zurück in die Heimat. Dabei vertrauen sie der HTS. Zum Beispiel auch, was die Lebensmittelpreise angeht, denn die sind rasant gestiegen – Brot und Milch kosten inzwischen viermal so viel wie vor dem Krieg. Syrien erwartet mehr Unterstützung von Deutschland sowie von den Nachbarländern. Ca. eine Million Syrer leben hier, wovon ungefähr die Hälfte Bürgergeld bezieht und ca. 120.000 Syrer in Deutschland arbeiten. CDU und CSU sagen, sie wollen Syrer abschieben, die keine Arbeit haben. Syrer, die zurück in die Heimat möchten, sollen mit einem kostenlosen Flugticket und einer Prämie von tausend Euro bei der Rückreise unterstützt werden. Mehrere Politiker forderten, dass alle syrischen Straftäter als erstes abgeschoben werden. Unser SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius äußerte sich mit den Worten: „Mehr Engagement für Syrien“, und will sich dafür einsetzen, mehr Stabilität und Sicherheit für die Zukunft Syriens aufzubauen.

Was glaubt ihr – wird es ein neues, freies und demokratisches Syrien geben- oder wird das Land wieder in alte Muster verfallen?

(Dieser Text ist übrigens ohne Googeln und ohne jede Möglichkeit zur Recherche entstanden, allein anhand der Nachrichten im Fernsehen, Anm. d. Red.)


Mr. Afro: Gedanken zur Weltlage

Text von Mr. Afro (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)

Ich habe das Gefühl, dass ich keinen Einfluss auf die Welt habe. Überall ist Krieg. Ich mache den Fernseher an und sehe nur Nachrichten vom Krieg. Alles wird immer nur schlimmer. Ich habe Angst und frage mich, ob all das wohl auch bald nach Deutschland kommt. Zum Beispiel unterstützt Deutschland die Ukraine. Ich höre immer, dass Deutschland noch mehr unterstützen will, aber auch Angst vor Russland hat. Russland droht immer wieder damit, die NATO anzugreifen. Ich frage mich, ob ich aus dem Knast entlassen würde, wenn der Krieg sich nach Deutschland ausbreiten würde. Wie würde sich die Situation auf Gefängnisinsassen auswirken, wenn der Krieg auch nach Deutschland kommt?

Diese Fragen habe ich mir und andere Insassen sich auch gestellt und ausdiskutiert, wie wir uns das vorstellen und wie wir handeln würden. Ich fange mal mit meiner Sicht an: Nehmen wir an, wir würden wegen des Krieges entlassen werden. Dann würde ich als allererstes den Kontakt zu meiner Familie suchen und eine schnelle Möglichkeit finden, fürs Erste auszuwandern. Ich habe das Gefühl, in der Schweiz soll es sicher sein, da ich nichts anderes von dort mitbekommen habe. Die Schweiz ist ein neutrales Land, das sich nirgends einmischt. Sie gehören nicht zur EU oder zur NATO und sind ein wohlhabendes Land mit vielen Geldanlagemöglichkeiten. Aber es gibt leider auch die Diskussion, ob man als Straftäter oder Ausländer ohne viel Palaver überhaupt in die Schweiz einwandern darf.


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DIE HAFTNOTIZEN

Kolumne mit kreativen Texten aus der JVA Hahnöfersand

Die Autoren sind allesamt Jugendliche und junge Erwachsene aus der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand. Sie nehmen an der dortigen Gruppe für kreatives Schreiben teil, mit der fachlichen Begleitung der Autorin und Schreibtrainerin Tania Kibermanis.

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