Haftnotizen Ausgabe 53

Übersicht

Wie überlebt man in einem der ärmsten Länder dieser Erde, wo die nächste Wasserversorgung kilometerweit entfernt liegt? Als Minderjähriger kam Esman aus der Ukraine nach Deutschland, fiel hier durch das Sozialraster und wurde obdachlos. Kein Einzelfall, so sein bitteres Fazit. „Was kommt da auf Deutschland zu?“, fragt sich Yobi besorgt mit Blick in die USA, wo ein demokratisch gewählter und verurteilter Präsident sowie ein Tech-Milliardär irrlichtern.  Drei offene und authentische Sichtweisen auf die Schieflagen dieser Zeit, an denen uns die Verfasser in diesen HAFTNOTIZEN teilhaben lassen.

Wir wünschen gute Gedanken beim Lesen!

Hinweis: Die Klarnamen der Verfasser sind durch Pseudonyme ersetzt.

Meinungsfreiheit

Wie immer ist uns Meinungsfreiheit sehr wichtig – deshalb äußert der jeweilige Verfasser seine ganz persönliche Meinung, die nicht unbedingt vom gesamten Team der Haftnotizen geteilt werden muss.

Schreibtrainerin: Tania Kibermanis


Congo: Über meine Heimat

Text von Congo (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)

Burkina Faso ist in den Top Ten der ärmsten Länder der Welt. Meine Heimatsprache dort ist Mooré, aber im ganzen Land spricht man Französisch, weil Burkina Faso früher eine französische Kolonie war. Daneben spricht man dort auch noch viele verschiedene Dialekte. Die Armut betrifft das ganze Land, aber am meisten betrifft sie die Dörfer. Dort ist jeder Tag ein Kampf ums Überleben. Nur mit Schwierigkeiten kommt man an Wasser, man muss Kilometer unter der heißen Sonne zu Fuß gehen – die meisten auch noch ohne Schuhe. Man muss vier oder fünf Liter auf einmal tragen, man ist davon ganz schön fertig, und wenn man auf einmal stolpert und das Wasser auf dem Boden landet, muss man eben wieder zurück und neues holen. Im Wasser sind meistens viele Bakterien, weil es nicht sauber ist – aber man gewöhnt sich daran.

In Burkina Faso wird kein Geburtstag gefeiert, weil die wenigsten überhaupt wissen, wann sie geboren sind, die meisten kennen nur ihr ungefähres Alter. Männer bauen in Burkina Faso Obst und Gemüse an, die Frauen kümmern sich um den Haushalt oder verkaufen das Obst und Gemüse auf dem Markt an der Straße. Das Essen ist immer knapp. Die typischen Gerichte sind To, ein Brei aus Maismehl mit scharfer Soße, oder frittierte Kochbananen.


Yobi: Trump und Musk – Helden oder Verbrecher?

Text von Yobi (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
 

Zumindest Trump ist ein Verbrecher – und keiner von beiden zurzeit ein Gewinner. Trump ist ein Verbrecher wegen des 6. Januar 2021 und den Angriffen aufs Kapitol, weil er hohe Summen an Steuern hinterzogen hat und sonstige Sachen nicht bezahlt haben soll.

Elon Musk hat mit Firmen wie SpaceX oder Tesla moderne und fortschrittliche Unternehmen gegründet. Sein Einsatz im Wahlkampf von Trump ist allerding kritisch zu sehen. Auch ist es aller Voraussicht nach nicht ganz rechtens, während des Wahlkampfes täglich eine Million Dollar an Trump-Wähler zu verlosen. Seit neuestem mischt sich Musk auch in die Politik und die Wahlkämpfe in Europa ein. Beispielsweise nennt er den Bundeskanzler Olaf Scholz einen Narren und behauptet, nur die AfD könne Deutschland retten.

Auch wenn Trump es mit Elon Musk zu einem legalen Wahlsieg in den USA geschafft hat, sind beide definitiv keine Helden.


Esman: Von Odessa nach Hamburg

Text von Esman (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)

Ich komme aus der ukrainischen Stadt Odessa. Als der Krieg begann, hatte ich zeitweise keinen Job und verbrachte mein Leben damit, Tag und Nacht Party zu machen. Am ersten Tag des Krieges war ich irgendwo draußen, nach einer Party. Es war ein wunderschöner Tag – gutes Wetter, niemand außer mir unterwegs. Ich rief einige Freunde an, um mich zu verabreden. Die Stadt wirkte irgendwie apokalyptisch, so, als wäre wirklich niemand hier – keine Einwohner, keine Bevölkerung. Ich fühlte mich innerlich ganz ruhig.

Kurz darauf verhängte die Regierung eine Ausgangssperre, alle mussten von 17:00 Uhr nachmittags bis zum nächsten Morgen zu Hause bleiben. Draußen war viel Militär unterwegs, und man konnte echte Probleme bekommen, wenn sie einen draußen erwischen. Zu dieser Zeit hatte ich keinen festen Wohnsitz und keine Bleibe, also musste ich jeden Tag irgendwas finden, bevor die Ausgangssperre einsetzte. Es gab viele private Partys, meistens irgendwann unterbrochen vom Luftalarm. Einigen meiner Freunde hat das Angst gemacht. Viele Menschen suchten dann regelmäßig Schutz in den Bunkern, aber niemanden davon kannte ich.

Einige meiner Freunde engagierten sich als Freiwillige. Eigentlich hatte ich nicht geplant, irgendwohin zu ziehen, aber ich hatte mich mit einem Mädchen angefreundet, das nach Großbritannien übersiedeln wollte. Sie wollte nicht alleine gehen, und alle unsere Freunde waren bereits älter als achtzehn, deshalb hatte die ukrainische Regierung verordnet, dass sie das Land nicht verlassen durften. Ich war erst siebzehn.

In der Nacht bevor unser Zug fuhr, war ich in der Wohnung von Freunden. Ich brauchte dringend eine Zigarette, niemand hatte eine, deshalb ging ich raus ohne groß nachzudenken, denn um diese Zeit sollte niemand draußen sein. Als ich das Haus verließ und ein paar Meter ging, kreisten mich sofort zehn Typen mit Waffen ein, die sie auf mich richteten. Als wäre ich irgendein Terrorist. Die haben mich direkt auf der Straße ausgefragt, es kamen noch mehr Typen mit einem Auto dazu. Sie fragten mich, wer ich bin, was ich hier mache, und als ich ihre Fragen beantwortete, lächelte ich ein bisschen. Einer der Typen schlug mich daraufhin mit seinem Gewehr. Sie steckten mich ins Auto und nahmen mich mit zur Hauptpolizeistation, wo ich dann wartete und sah, wie andere Gefangene geschlagen wurden. Meine Sachen wurden kontrolliert. Normalerweise habe ich gar keine Geldbörse, aber an diesem Abend hatte mir ein Freund eine geschenkt, und darin war all mein Geld, das ich für die Reise gespart hatte. Ich hörte, dass sie mich in den „Spendenraum“ stecken wollten. Nachdem ich kurz mit den Typen geredet habe, hielten sie mich fest und legten meine Hand auf den Tisch. Sie spielten mit einem Messer herum und drohten, dass sie mir einen Finger abschneiden, wenn ich ihnen mein Geld nicht gebe.

Am nächsten Tag packte ich meine Sachen und versuchte nicht allzu deprimiert zu sein, dass mein Geld weg war. Als wir in Krakau ankamen, hatte ein Freund meiner Freundin zwei Wochen in einem Motel für uns klargemacht. Meine Freundin riet mir, doch auch ein Visum für Großbritannien zu beantragen, ihr Ex kam aus London und könnte uns helfen. Ich hatte bisher weder Pläne noch irgendwas richtig durchdacht – erst als ich ihr half ihre Taschen zum Bahnhof zu schleppen. Ich realisierte in diesem Moment: Ich kann nicht zurück. Ich muss irgendwo anders hin.

Kurz darauf traf ich ein nettes Mädchen aus Österreich. Wir quatschten ein bisschen, dann sagte sie mir, sie sei mit dem Auto hier und würde mich mit nach Salzburg nehmen. Dort blieb ich dann ein paar Wochen und dann wurde mir plötzlich klar: Ich werde achtzehn, und ich werde nicht mehr über die ukrainische Grenze kommen, ohne zur Armee zu müssen. Ich fand einen Job als Koch in Ausbildung in einem feinen Restaurant in Salzburg. Aber nach einem Monat schmiss ich hin. Ich langweilte mich und fühlte mich immer einsamer. Ich wollte nach Berlin gehen, wohin inzwischen die meisten meiner Freunde aus Odessa geflohen waren. Aber Berlin war schon komplett überfüllt, es gab keine Möglichkeit für mich, dort unterzukommen. Ich sollte lieber nach Hamburg gehen.

Als ich hier zum ersten Mal zur zentralen Aufnahmestelle kam, hat es mir dort überhaupt nicht gefallen. Ich bin stattdessen lieber in die Nachtclubs gegangen. Dort habe ich einen guten Freund gefunden, der gerade in eine neue Wohnung umzog. Und ich konnte dort auch bleiben. Ich bekam ein nettes Zimmer in seiner Wohnung an der Reeperbahn und habe eine Menge guter Leute kennengelernt. Manchmal habe ich in Clubs ausgeholfen, an der Bar oder sowas in der Art. So habe ich mehr als ein halbes Jahr dort verbracht. Dann wurde die Miete erhöht, und ich konnte mir das Zimmer nicht mehr leisten. Also bin ich ins Flüchtlingswohnheim. Da war es nicht wirklich gut, ich wurde von einigen Leuten dort bedroht. Nachdem ich dort trotzdem fast fünf Monate verbracht hatte, bekam ich Unterstützung vom Jugendamt. Sie vermittelten mir einen Job bei der miesesten Organisation, in der ich jemals gearbeitet hatte. Ich bekam ein kleines Zimmer in einer WG in der Sternschanze, wo auch deren Büro ist, und einen Betreuer, der ein Auge auf mich haben sollte. Der Betreuer war irgendwie gestört, ich vermied, überhaupt mit ihm zu reden. Das alles führte zu nichts. Ich fragte ihn, ob er mir helfen könnte, einen Psychologen zu finden, aber er wollte stattdessen, dass ich lieber mit ihm rede. Ich sprach mit ihm also über alles Mögliche, aber ich fühlte mich immer wieder von ihm verarscht, auch wenn er dabei ein ernstes Gesicht machte.

Ich habe immer davon geträumt, Musik zu machen. Ich bin ein guter Sänger, aber ich habe keine professionelle Ausbildung. Ich habe meinen Betreuer gefragt, ob er mir helfen könnte, ein Instrument zu lernen und mir Gesangsunterricht zu geben. Mein Betreuer fand einen Typen auf einer schwulen Dating-Plattform, der Gitarre spielte. Und er sagte mir, dass ich jetzt keine Wahl mehr hätte – wir sollten uns montags, mittwochs und freitags immer zur gleichen Zeit gegen Mittag treffen, dann hätte er Zeit. Ich könnte über alles mit ihm reden, vielleicht zusammen eine Zigarette rauchen oder ein bisschen spazieren gehen. Wir liefen also ein bisschen herum, sprachen, und schon am nächsten Tag fragte er mich, ob unsere Gespräche und Spaziergänge irgendeinen Einfluss auf mein Leben hätten, ob ich schon Veränderungen bemerken würde? Am dritten Tag habe ich unsere Verabredung verschlafen.

Einmal bin ich wie um mein Leben gerannt, weil ich zurück in die Einrichtung musste. Die Tür war schon abgeschlossen, also brach ich sie auf und blockierte sie von innen mit einem Straßenschild. Am nächsten Morgen wachte ich von dem Lärm auf, den mein Betreuer machte. Ich dachte, er tritt gleich meine Tür ein. Meine Freunde durften mich dort nicht besuchen, obwohl ich wirklich so gut wie alles versuchte, um nett zu wirken. Meine Mitbewohner durften dagegen Besuch haben, obwohl sie viel mehr Krach machten als ich. Sie waren oft betrunken und suchten mit jedem Stress. Also entschieden wir, dass es wohl das Beste für mich wäre, wenn ich wegen meiner Alkohol- und Drogenprobleme in eine Entzugsklinik kommen würde. Dort war ich dann drei Tage, dann habe ich mich betrunken. Sie sagten mir kurz darauf, dass mein Aufenthalt in der Klinik beendet sei. Also brachte ich mein Zeug wieder zurück in meine Unterkunft. Ich war für ein paar Stunden draußen, um mir etwas zu essen zu besorgen, und als ich zurückkam, konnte ich die Tür nicht mehr aufschließen. Sie hatten das Schloss ausgetauscht.

Es war inzwischen Januar, ich hatte kein Telefon dabei und keine Dokumente. Ich landete auf der Straße. Begann mehr und mehr zu trinken – zumindest, um mich aufzuwärmen. Aber davon wurde nichts besser, und neue Papiere bekam ich davon auch nicht. Ich hatte hier in Deutschland einen Pass bekommen, Geld beantragt und vier Monate darauf gewartet. Wenn du älter als achtzehn bist, tut die ukrainische Botschaft nichts für dich und einen neuen Pass zu bekommen, war unmöglich.

Ich erzähle das alles, weil ich nicht der Einzige bin, dem es so ergangen ist. Ich war bei einem Freund, der in genau die gleiche Situation kam: Das Schloss seiner Einrichtung wurde ausgetauscht. Er hatte seinen Betreuer nicht zurückgerufen, weil er sein Telefon verloren hatte. Ich habe eine Menge solcher Geschichten gehört, von Jungs, die ein paar Jahre jünger waren als ich. Ich verstehe es nicht, wie man junge Menschen einfach obdachlos werden lässt – wirklich, ich verstehe es nicht.

(übersetzt aus dem Englischen)

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DIE HAFTNOTIZEN

Kolumne mit kreativen Texten aus der JVA Hahnöfersand

Die Autoren sind allesamt Jugendliche und junge Erwachsene aus der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand. Sie nehmen an der dortigen Gruppe für kreatives Schreiben teil, mit der fachlichen Begleitung der Autorin und Schreibtrainerin Tania Kibermanis.

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