
Wenn einen die Langeweile überkommt, dann wird die Zeit zum Kaugummi. Alltagsroutinen verwandeln sich in monotone Abläufe – von A wie Arbeit bis Z wie Zubettgehen. In einem solchen Hamsterrad sitzen nicht nur die Insassen von Hahnöfersand, sondern ziemlich oft auch wir „da draußen“. Dass geregelte Tagesabläufe Chancen auf einen besseren Start nach einer Haftentlassung bieten können, schätzt Gypsy als positiv. Und wer weiß, vielleicht steckt in einem der Autoren unserer Haftnotizen ein zukünftiger Nobelpreisträger?
Wir wünschen viele gute Gedanken beim Lesen!
Hinweis: Die Klarnamen der Verfasser sind durch Pseudonyme ersetzt.
Meinungsfreiheit
Wie immer ist uns Meinungsfreiheit sehr wichtig – deshalb äußert der jeweilige Verfasser seine ganz persönliche Meinung, die nicht unbedingt vom gesamten Team der Haftnotizen geteilt werden muss.
Schreibtrainerin: Tania Kibermanis
Zikibaba 035: Knast und Langeweile
Text von Zikibaba 035 (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Warum habe ich Langeweile? Ich habe Langeweile im Knast, weil jeder Tag, der vorbeigeht, gleich ist: 6:30 Uhr aufstehen, rauchen, Kaffee trinken, duschen, Arbeitsklamotten anziehen, ausrücken zur Arbeit (in der Ausbildung Gebäudereinigung), chillen, über Gott und die Welt reden, arbeiten, einrücken nach der Arbeit, 11.30 Uhr essen, Kartoffeln oder Reis, jeden Mittwoch Suppe.
12:30 Uhr wieder zu Arbeit bis 15:40 Uhr, fertig machen zur Freistunde, Tee, Kaffee oder schnell was zum Essen machen, ein Brot oder etwas Kleines. Nach der Freistunde 1,5 Stunden Freizeit, telefonieren mit Freunden, Familie, Frau oder Freundin. Kochen, wenn man noch was vom Einkauf hat. Was ja die meisten nicht haben, oder zu wenig Geld auf dem Konto. Wenn man raucht, dann braucht man über Lebensmittel und Kochen gar nicht zu reden, weil das Geld dafür nicht reicht. Zelle saubermachen, duschen, heißes Wasser holen, Tee kochen und in den Einschluss gehen.
18:30 Uhr ist die Tür zu, fängt das „Abkacken“ an – das heißt: Frust schieben, nachdenken, am Fenster reden über Familie, das da draußen, die Freiheit, Frauen, Träume, Zukunft…bis 20: 15 Uhr, dann geht jeder rein und guckt Fernsehen. Bis 22.00 oder 23.00 Uhr – dann gehen wir alle schlafen.
So läuft jeder Tag gleich ab. Die Wochenenden sind noch öder. Wir freuen uns, wenn wir wieder draußen sind und unseren Alltag selbst bestimmen können. Es gibt hier fünf Häuser für Gefangene: In Haus 4 ist die Untersuchungshaft, in Haus 5 die Strafhaft. Haus 3: Sozialtherapie. Haus 6: Einzelhaft. Haus 8: Offener Vollzug. Haus 9: Arrest. Im Haus 4 sind die neuen Gefangenen, die erst ein paar Tage oder Monate hier sind.
Im Haus 5 sind die Gefangenen, die schon ihr Urteil und ihre Strafe bekommen haben. Im Haus 3 sind die Gefangenen, die Sozialtherapie nötig haben, wenn das im Haftplan steht. Es gibt Programme und Soziales Training und auch Aktivitäten wie eine Kochgruppe, Lange Abende und ein Fest für Gefangene und Angehörige.
Es gibt drei verschiedene Abstufungen: 1. Rot, 2. Gelb, 3. Grün – das sind die Einschränkungen und Erleichterungen, die man hat. Wenn man kommt, hat man automatisch den Status Rot. Rot bedeutet: Aufschluss ist um 16 Uhr. Gelb: Aufschluss um 14.30 Uhr. Grün: Aufschluss um 14.30 Uhr. Plus Einzelbesuch mit Eltern am Wochenende. Und man darf eine Stunde auf dem Hof alleine Freistunde machen. Im Haus 8 hat man Ausgänge, kann draußen einkaufen, am Wochenende darf man zuhause schlafen und hat auch noch zusätzliches Freizeitprogramm wie eine Koch- und eine Spielegruppe.
Es gibt natürlich ungeschriebene Gesetze unter den Gefangenen hier im Knast:
- Kein V-Mann sein – niemanden verpfeifen.
- Keine Eltern von Mitgefangenen beleidigen.
- Nicht mit Essen geiern (nichts abgeben, wenn jemand Hunger hat).
- Füreinander da sein und sich gegenseitig unterstützen.
- Respektvoll mit anderen umgehen.
- Nicht die H-Sand-Zeitung sein- also, nicht direkt rumerzählen, was einem jemand sagt.
- Ein ‚Nein‘ akzeptieren.
So ist das Leben hier im H-sand-Knast.
Yobi: Hat Bob Dylan es verdient, einen Literaturnobelpreis zu erhalten?
Text von Yobi (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Insbesondere, weil Bob Dylan nicht nur, wie viele andere Künstler der 1960er-Jahre, Liedtexte über Liebe und die eigene Generation (so wie die Beatles und die Kinks) geschrieben hat, sondern auch über tiefgreifende gesellschaftliche Themen wie den Vietnamkrieg oder die Überheblichkeit der Oberschicht, qualifiziert er sich deutlich eher als andere Komponisten in der Popkultur für den Literaturnobelpreis. Ich persönlich denke auch, dass seine Texte alleine ohne Musik nicht nur Songtexte, sondern schon Literatur an sich sind. Songtexte, wie der von It´s all right, Ma (I´m only bleeding) befassen sich auf hochkultureller Ebene mit sozialen Problemen und dem Druck, der auf verschiedenen Menschen lastet. Oder in einem von Dylans populärsten Songs Like a Rolling Stone geht es um eine junge Frau, die früher reich war und mit den wohlhabenden Menschen gelacht hat und jetzt auf der Straße lebt und sich auf ihre nächste Mahlzeit freut. Besonders dieser Song ist sehr kritisch und schießt in die Richtung der Oberschicht, wie man es zum Erscheinungsdatum (1965) noch nicht gewöhnt war.
Songs wie Love minus Zero/No Limit oder Mr. Tambourine Man, die beide vom 1965 erschienenen Album Bringin‘ it all back home stammen, erzielen mit ihren Ausführungen eine besondere Wirkung. Die Folk-Hymne Mr. Tambourine Man beschreibt traumähnliche Zustände und entführt einen in ein fernes Land, anstatt einfach nur eine konventionelle Geschichte zu erzählen. Auch Love minus Zero/No Limit ist nicht nur ein üblicher Lovesong, er beschreibt auch die besonderen Eigenschaften einer Frau in ihrem sozialen Umfeld.
Gewöhnlicherweise gewinnen nur Autoren, die Bücher oder Romane schreiben, den Literaturnobelpreis, nicht aber Songschreiber wie Bob Dylan. Gerade deswegen finde ich es richtig, dass ein Zeichen gesetzt wurde, dass auch Autoren aus der Popkultur Bedeutendes schreiben und einen Nobelpreis gewinnen können.
Gypsy: Mein Leben nach der Haft
Text von Gypsy (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Mein Leben nach der Haft soll auf jeden Fall nicht so ablaufen wie davor. Bevor ich in Haft gekommen bin, war mein Leben alles andere, nur nicht geordnet. Ich lebte einfach in jeden Tag hinein und wusste nicht, was ich am nächsten Tag vorhabe. Außer wieder zu trinken und andere Drogen zu nehmen. Mein Leben bestand nur aus Party. Ich hatte keine Perspektive, keine Aussicht auf eine Arbeit oder sonst etwas, was normale Menschen in meinem Alter tun.
Aber heute ist das anders. Hier in der Haft habe ich mich auf die Dinge konzentriert, die mich auch draußen weiterbringen. Ich lernte hier normale Tagesabläufe: morgens aufstehen, arbeiten gehen und seinen Tag einfach so sinnvoll wie möglich gestalten. Meinen ESA machte ich hier natürlich auch, und wenn ich so zurückdenke, war das schon echt dumm, dass ich den nicht schon früher gemacht habe. Aber egal – die Haft hat auf jeden Fall meine Sicht auf viele Dinge geändert, sodass ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Plan habe, wie ich mein Leben führen möchte. Dazu gehört eine Ausbildung, eine Arbeitsstelle finden, die mir Spaß macht, den Führerschein machen. Mir eine eigene Wohnung suchen, mir eine Katze als Haustier zulegen und dann irgendwann mal wieder eine Frau an meinem Leben teilnehmen lassen. Vielleicht passiert das mit der Frau ja schon früher. Aber das hält mich auf jeden Fall nicht davon ab, meine Ziele zu verfolgen.
In den ersten Tagen nach meiner Entlassung werde ich erst mal alles Schriftliche und Formelle klären. Dazu gehört auch, mich wieder versichern zu lassen, das Praktikum bei meinem Onkel abzuklären, damit ich nach der Entlassung nicht wieder aus dem Arbeitsflow rauskomme. Wenn ich alles geklärt habe und das mit der Arbeit läuft, dann werde ich mich nach einer eigenen Wohnung umsehen. Damit ich endlich auf eigenen Beinen im Leben stehen kann und nicht mehr von anderen abhängig bin.
Das Erste, was ich nach meiner Entlassung essen werde, ist ein schöner Mozzarellasalat mit Fleisch vom Grill. Und je nachdem, wann es passt, werde ich mit meinem Onkel und meinem Bruder angeln gehen, um meine Freiheit zu genießen. Angeln finde ich im Gegensatz zu manch anderem, extrem spannend. Ich habe mit 13 Jahren zum ersten Mal geangelt, mit meinem damaligen besten Freund. Das Angeln hat mir direkt gefallen. Auch wenn man dabei nicht allzu viel macht, ist es trotzdem mega-geil. Das Gefühl, wenn ein Fisch angebissen hat und die Schnur zieht, ist einfach unbeschreiblich, das muss man mal selbst erlebt haben.
Mit vierzehn habe ich dann meine Prüfung für den Angelschein absolviert. Dafür musste ich in so ein Gasthaus, wo alle zusammenkamen, die sich für dieses Quartal angemeldet hatten. Wir saßen mit 10-15 Leuten an einem großen Tisch, und jeder von uns bekam seine Prüfungsunterlagen. Dann hatten wir nur eine bestimmte Zeit, um mit der Prüfung fertig zu werden. Darin wurde zum Beispiel nach den Schonzeiten gefragt, dann sollten wir anhand verschiedener Bilder die jeweiligen Fische benennen. Nach dem schriftlichen Teil kam ein praktischer, wo wir an einem Gummifisch zeigen sollten, wie man einen Fisch betäubt, wie man einen Kiemenschnitt setzt und wie man einen Herzstich durchführt. Nachdem wir mit allem fertig waren, mussten wir ein bis zwei Stunden auf unsere Ergebnisse warten. So habe ich meinen Angelschein bekommen und konnte dann damit nach Hause fahren.
Emo: Vier Jungs nach ihrer Entlassung
Text von Emo (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Wir kamen pünktlich um acht Uhr in der Mehrzweckhalle an und bereiteten uns auf unsere Entlassung vor. Toni, Scar, Fat Joe und ich haben unsere gesamte Haftzeit miteinander verbracht. Wir konnten es kaum glauben, doch der Tag war wirklich da – wir kommen raus!
Gegen neun Uhr wurden wir vors Tor gebracht. Jeder von uns hatte eine Schachtel Zigaretten, sein U-Geld und unsere Handys zurück. Fat Joe rief einen Bekannten an, um uns abzuholen, und während wir warteten, rauchten wir ein, zwei Zigaretten und unterhielten uns. Nach einer Weile kam der Bekannte an, mit einer wunderschönen Garlic-Runtz-Keule. Keiner von uns nahm mehr als vier Züge, doch jeder von uns war so geflasht wie eine Kifferjungfrau beim ersten Mal.
Dann stiegen wir ins Auto und fuhren los. Als wir dem Bekannten unsere CDs andrehen wollten, warf er uns einen Blick zu und machte die neuesten Banger über Spotify an. Zum Glück hatte er Süßgetränke und Snacks dabei. Aus den Boxen kam gute Musik, alle waren euphorisch und gut drauf. Jeder von uns hatte eine kalte Fanta in der Hand, und die Sonne knallte auf unsere lächelnden Gesichter.
Auf dem Weg nach Hause machten wir noch Halt bei Burger King, holten unser Essen, standen auf dem Parkplatz und aßen. Danach fuhren wir weiter – brachten erst Toni und Scar nach Hause, dann Fat Joe und mich. Dort ging ich erst einmal unter die Dusche, machte mich frisch und verbrachte den restlichen Tag mit meiner Familie.
Am nächsten Tag rief ich die Jungs an, und wir verabredeten uns, um abends was essen zu gehen. Es war perfektes T-Shirt-Wetter, Fat Joe kam vorbei, und als wir auf meinem Balkon saßen, klingelte mein Handy. Unten standen Toni und Scar in schicken Outfits vor einem schicken Wagen. Wir fuhren los zu einem schönen Steakhouse, dort saßen wir am Tisch und redeten über unsere Haftzeit. Dann kam das Thema „Urlaub“ auf, darauf sind wir dann hängen geblieben und haben uns zwei Wochen in einem Haus mit Pool in den Kopf gesetzt. Mal sehen, ob wir das alles nach unserer Entlassung genauso machen
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DIE HAFTNOTIZEN
Kolumne mit kreativen Texten aus der JVA Hahnöfersand
Die Autoren sind allesamt Jugendliche und junge Erwachsene aus der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand. Sie nehmen an der dortigen Gruppe für kreatives Schreiben teil, mit der fachlichen Begleitung der Autorin und Schreibtrainerin Tania Kibermanis.