Haftnotizen Ausgabe 48

Übersicht

In dieser Ausgabe der HAFTNOTIZEN beschäftigen sich die Autoren mit Vorbildern und Mutproben. Und sie schildern, was für einen Einfluss es auf sie hat, aus Familien mit Einwanderungsbiografien zu kommen. Im letzten Beitrag können sich viele Menschen auf viele Umarmungen freuen.

Hinweis: Die Klarnamen der Verfasser sind durch Pseudonyme ersetzt.

Meinungsfreiheit

Wie immer ist uns Meinungsfreiheit sehr wichtig – deshalb äußert der jeweilige Verfasser seine ganz persönliche Meinung, die nicht unbedingt vom gesamten Team der Haftnotizen geteilt werden muss.

Schreibtrainerin: Tania Kibermanis


Kookie: Mein Vorbild

Text von Kookie (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)

Man kann mehrere Vorbilder haben, in verschiedenen Kategorien: Sport, Showbusiness, vielleicht auch eigene Verwandte. Mir reicht es, wenn die Person sympathisch ist. Ich finde Vorbilder gut, die was im Leben erreicht haben und immer hart für ihr Ziel gearbeitet haben. Dann finde ich es auch gerecht, wenn sie mehr Geld haben als andere. Und wenn sie auch wieder was zurückgeben – zum Beispiel für krebskranke Kinder spenden, so wie Cristiano Ronaldo.

Wen ich nicht als Vorbild sehe, ist Harry Kane, weil er nur rumsteht, aber beim FC Bayern München 30 Millionen im Jahr verdient. Robert Lewandowski dagegen ist ein Vorbild. Er hat Rekorde in der Bundesliga gemacht und ist inzwischen auch nicht mehr der Jüngste, aber er hat viel erreicht, und er ist sympathisch.

In meinem persönlichen Umfeld habe ich keine Vorbilder, denn fast alle, die ich kenne, haben schon Straftaten begangen.


Toni35, NoName, Amo und Abi K: Mutproben

Text von Toni35, NoName, Amo und Abi K (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)

NoName ist aus dem zweiten Stock gesprungen, was ihm schon Schmerzen eingebracht hat, aber er war auch stolz drauf, weil alle anderen gesagt haben, dass er nicht es schafft. Es war gefährlich, aber er bereut es nicht. Aber es nochmal zu versuchen – das würde er nicht unbedingt tun. Er würde auch seinen Kindern von Mutproben abraten, weil das gefährlich ist und schlimm enden kann. Und ihnen sagen, dass man sich gar nicht vor anderen beweisen muss, weil man denkt, dass das cool ist. Ist es aber gar nicht.

Bei seiner Mutprobe hat Amo eine halbe Flasche Wodka auf einmal getrunken. Die anderen sagten: Das schaffst du nie! Es war für ihn ekelhaft, er musste kotzen und hatte eine Alkoholvergiftung. Aber danach war er stolz drauf, es hat Spaß gemacht. Wiederholen würde er das allerdings nicht. Auch er würde seinen Kindern von Mutproben abraten.

Abi K hat mal einen Vorwärtssalto vom Dreier gemacht. Es waren auch zwei Kollegen dabei, wir haben eine Challenge gemacht. Es hat sich echt toll angefühlt. Ich habe es nur einmal gemacht, und danach nicht mehr. Ich bereue es nicht, es war schön, auch wenn ich ein bisschen Höhenangst habe. Vielleicht war es auch genau deshalb gut. Würde ich meinen Kindern sowas erlauben? Keine Ahnung – sie sollen es ausprobieren, wenn sie wollen.

Bei Mutproben ist meistens der Beweggrund, dass man sich oder anderen was beweisen möchte. Die größte Frage dabei ist: Wem will man eigentlich was beweisen – sich selbst oder den anderen? Oft macht man das auch, um zu einer Gruppe zu gehören, wie zum Beispiel bei den Hells Angels.

Für Toni35 war eine heftige Mutprobe: Ich habe mich bei meinem Arbeitgeber entschuldigt, obwohl er mir Unrecht getan hat. Innerlich habe ich natürlich ganz andere Gedanken gehabt – aber es war das Richtige. Er hat meine Entschuldigung übrigens nicht angenommen. Ich würde meinen Kindern raten, Mutproben zu machen, da sich jeder irgendwann Risiken stellen muss, um danach besser Bescheid zu wissen. Schwimmen wird dir auch beigebracht, aber ins Wasser mit den hohen Wellen muss man alleine.


Der Schotte, AFG und Mr. Afro: Herkunft

Text von Der Schotte, AFG und Mr. Afro (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)

In unseren Text wollen wir über unsere Herkunft berichten und erzählen, wie es ist, als Einwandererkind zweiter Generation in Deutschland aufgewachsen zu sein.

Der Schotte: Ich bin in Deutschland geboren, in Deutschland aufgewachsen und deutscher Staatsbürger. Mein Vater stammt aus Bosnien und meine Mutter aus Litauen. Als Kind war ich mit meiner Mutter und meinen Schwestern oft in Litauen bei meiner Familie mütterlicherseits zu Besuch. Ich spreche Litauisch nichts besonders gut, doch ich verstehe relativ viel. Mit der Zeit bin ich immer seltener mit nach Litauen gekommen, dadurch ist der Kontakt zu meiner Familie dort auch schwächer geworden. Ich weiß eigentlich kaum etwas von meiner Familie aus Litauen. Meine Mutter berichtet mir manchmal Neuigkeiten über meine Familie, direkten Kontakt halte ich derzeit nicht. Zu meiner Familie väterlicherseits habe ich sehr engen und guten Kontakt, bereits seitdem ich geboren bin. Als ich noch nicht in Haft war, waren wir so gut wie jedes Wochenende bei meiner Oma und Opa, die hier in Deutschland leben. Mein Onkel, meine Tante, Cousin und Cousinen waren dann auch immer da. Ich spreche deutsch mit ihnen, aber untereinander sprechen sie die meiste Zeit bosnisch. Ich kannte die bosnische Kultur und meine Herkunft nur von meiner Familie in Deutschland. Mit vierzehn war ich dann das erste Mal in meiner Heimat und habe mich direkt sehr wohl gefühlt, auch wenn ich die Sprache nicht beherrscht habe. Es hat sich wie ein zweites Zuhause angefühlt – alles war zwar irgendwie anders, aber es war perfekt für mich. Doch mir ist direkt aufgefallen, dass ich für sie so etwas wie ein Tourist war. Ich war der Deutsche, und genau das gleiche war auch in Litauen so, aber in Deutschland bin ich irgendwie immer der Litauer oder der Bosnier. Irgendwie bin ich für die anderen immer der Ausländer, auch wenn ich mich selbst nicht so fühle.


AFG: Ich bin afghanischer Staatsbürger und bin in Deutschland geboren. Obwohl ich nach dem Jahr 2000 in Deutschland geboren wurde, habe ich die deutsche Staatsangehörigkeit nicht bekommen, obwohl das gesetzlich schon so geregelt ist, dass ich die Staatsbürgerschaft eigentlich hätte bekommen müssen. Ich habe versucht, mich eigenständig um die deutsche Staatsangehörigkeit zu kümmern, da ich aber straffällig geworden bin, habe ich die deutsche Staatsangehörigkeit leider nicht bekommen.

Bei uns zuhause wird kaum Deutsch gesprochen. Ich spreche mit meinen Eltern Dari/Farsi (Afghanisch), mit meinen Geschwistern aber hauptsächlich Deutsch. Ich selber war noch nie in Afghanistan, die Vorfahren meiner Familie sind in den Iran ausgewandert. Ich selbst weiß gar nicht warum, aber ich vermute mal, wegen dem Streit zwischen den Bürgern und dem afghanischen Staat und allgemein wegen dem ganzen Krieg. Ich selber würde gerne die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen – sobald ich aus der Haft entlassen bin, werde ich mich darum kümmern, weil ich in Deutschland geboren bin und ich, so gesehen, Deutscher bin. Meine Wurzeln sind ausländisch, ich bin aber in Deutschland geboren. Ich war schon mal im Iran, als ich noch klein war, aber dort habe ich mich nicht so gefühlt, als würde ich von dort kommen, sondern eher als Deutscher. Die Leute im Iran haben auch direkt gemerkt, dass ich Ausländer bin. Ich spreche mit den Menschen, die mir wichtig sind, hauptsächlich nur deutsch. Ich fühle mich in Deutschland zuhause, ich liebe die Stadt Hamburg, wo ich lebe. Ich war auch schon mal mehrere Monate in Spanien, es ist aber anders als Deutschland – man hat da eine ganz andere Einstellung: Man fühlt sich anders, wie in einem Urlaubsort, und man weiß einfach, dass das nicht das Zuhause ist, wo man eigentlich herkommt.


Mr.Afro: Ich bin deutscher Staatsbürger. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Meine Mutter ist auch in Deutschland geboren, ihre Eltern kommen aus Polen und Litauen. Mein Vater ist in Guinea geboren und aufgewachsen. Er ist im Jahr 1995 in die Schweiz ausgewandert, von dort aus ist er 1999 nach Deutschland gekommen. Ich bin 2002 in Hamburg geboren, bei mir zuhause wird nur deutsch gesprochen. Mein Vater spricht Deutsch, Mandinga (Guinea) und Französisch, meine Mutter spricht nur Deutsch. Ich selbst habe die Sprachen – außer Deutsch – nicht gelernt. Ich war noch nie in Guinea oder Frankreich, aber sobald ich aus der Haft entlassen werde, würde ich gerne Urlaub in Frankreich und Guinea machen, weil dort Verwandte von mir leben. Ich selber sehe mich nicht als Deutschen, aber ich sehe mich auch nicht als Afrikaner. Ich habe auch nie viel Wert darauf gelegt, woher ein Mensch kommt, da für mich nur das Innere zählt. Ich find es gut, wenn man stolz auf sein Land ist. Man sollte einen Menschen nicht danach beurteilen, woher er kommt, oder ihm deshalb Sachen unterstellen. Wenn mich jemand fragt, woher ich komme, sage ich: Ich bin halb Guineer und halb Deutscher.    


Sifo: Was wünsche ich mir, wenn ich frei bin?

Text von Sifo (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)

Zuallererst wünsche ich mir, dass es meiner Familie gut geht. Meinen Vater möchte ich zuerst in meine Arme schließen. Dann werde ich meine sechs Geschwister besuchen und alle in die Arme nehmen. Ganz besonders freue ich mich auf meine Nichten und Neffen, die während meiner Haftzeit bestimmt ordentlich gewachsen sind.

Dann werde ich meinen Trainer besuchen und ganz doll drücken. Sie alle habe ich die ganzen Jahre sehr vermisst. Ich hoffe immer, dass die Tage und Monate und Jahre schnell vergehen, damit ich wieder zuhause sein und alle meine Lieben in die Arme nehmen kann. Und dann wünsche ich mir eine gute Arbeit. Und ein Vorbild für meine Familie zu sein. Ich suche mir eine Freundin, die gut zu mir passt und die ein gutes Herz hat. Da ich mir viele Kinder wünsche und ich ein guter Vater sein will, sollte meine Freundin auch eine liebevolle Mutter werden wollen. Ihre Eltern, insbesondere meine zukünftige Schwiegermutter, will ich in meine Familie aufnehmen wie meine eigenen Eltern. Ich habe schon viele Frauen kennengelernt, die ich mir als Schwiegermütter gut vorstellen könnte. Ich habe aber noch keine Freundin gefunden, die ich mir als Mutter meiner Kinder vorstellen könnte.

Das wünsche ich mir, wenn ich frei bin: Die „richtige“ Frau zu finden. Außerdem liebe ich Reiten und fände es richtig cool, mit meiner ganzen Familie ausreiten zu können.

Feedback

Die Verfasser der Artikel freuen sich sehr über Feedback zu ihren Texten. Schreibt uns gerne Lob und Kritik an jugendinfo@bsb.hamburg.de und wir leiten eure Rückmeldungen (anonymisiert) weiter.

DIE HAFTNOTIZEN

Kolumne mit kreativen Texten aus der JVA Hahnöfersand

Die Autoren sind allesamt Jugendliche und junge Erwachsene aus der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand. Sie nehmen an der dortigen Gruppe für kreatives Schreiben teil, mit der fachlichen Begleitung der Autorin und Schreibtrainerin Tania Kibermanis.

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