Haftnotizen Ausgabe 44

Übersicht

Nichts ist so wichtig für gegenseitiges Verständnis wie ein Austausch mit Menschen, die etwas zu erzählen haben. Deshalb hat sich die Schreibgruppe in der letzten Zeit zweimal Besuch eingeladen.

Die Initiative „Meet a Jew“ ist ein Begegnungsprojekt des Zentralrats der Juden in Deutschland und hat auf Anfrage der HAFTNOTIZEN den Besuch zweier Ehrenamtlicher in der JVA Hahnöfersand vermittelt, um sich über den Alltag von Jüdinnen und Juden in Deutschland auszutauschen und Vorurteilen durch ein persönliches Gespräch zu begegnen. Es war ausdrücklich erwünscht, Fragen zu stellen – und unsere Autoren hatten viele davon. Der Besuch von Gabriel G. und Igor Z. hat bei den meisten unserer Autoren einen tiefen Eindruck hinterlassen.

Kurz darauf kamen wieder Gäste, diesmal die beiden Hamburger Zeitzeugen Frauke P. und Manfred H. Beide besuchen regelmäßig Schulen und Bildungseinrichtungen, um über ihre Erfahrungen in der NS-Zeit und von ihrem Leben danach zu berichten und sich für die Demokratie stark zu machen.

Hinweis: Die Klarnamen der Verfasser sind durch Pseudonyme ersetzt.

Meinungsfreiheit

Wie immer ist uns Meinungsfreiheit sehr wichtig – deshalb äußert der jeweilige Verfasser seine ganz persönliche Meinung, die nicht unbedingt vom gesamten Team der Haftnotizen geteilt werden muss.

Schreibtrainerin: Tania Kibermanis


Schotte und ZazaMonaco: Zum Besuch von Gabriel G. und Igor Z. von "Meet a Jew"

Text von Schotte und ZazaMonaco (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)

Der Schotte: Wir hatten neulich zwei Männer jüdischen Glaubens zu Besuch. Sie haben sich und ihren Glauben vorgestellt, erzählt, wie und wo sie aufgewachsen sind und wie ihr Leben als Juden in Deutschland ist. Es war wahrscheinlich für alle von uns das erste Gespräch mit einem Juden. Für mich war es eigentlich ein ganz normales Gespräch, ich habe Igor und Gabriel nicht als Juden gesehen, sondern als Menschen. Für mich war es vor allem interessant, als wir über das Thema „Sicherheit von jüdischen Schulen“ gesprochen haben. Darüber haben wir auch eine gute Diskussion geführt. Ich war zuerst der Meinung, dass jüdische Schulen nicht besonders geschützt werden sollten, stattdessen sollten Juden doch lieber auf normale Schulen gehen. Sowohl Igor als auch Gabriel hatten dazu eine andere Haltung, und Igor erzählte, dass er früher an einer jüdischen Schule unterrichtet hätte und dass es immer wieder Hassbotschaften und Morddrohungen gegen die Schüler und Lehrer gab. Das war mir nicht klar, dass es so krass ist. Und was ich daran sehr interessant fand, war die Tatsache, dass die Mehrheit der Schüler auf der jüdischen Schule gar keine Juden sind, sondern auch viele Christen und auch Muslime auf diese Schule gehen. Igor sagte, dass es für einen Juden wegen der Anfeindungen sehr schwer ist, auf eine normale Schule zu gehen. Ich bezweifle das. Ich meine, es gibt immer jemanden, dem irgendwas nicht passt. Aber ich habe den Eindruck, dass es der Mehrheit doch völlig egal ist, ob du schwarz bist, weiß, dick, dünn, Jude oder Muslim. Und ich denke, dass es mit dem Abkapseln nicht besser wird – man sollte lieber so viel wie möglich normalisieren.

Ich fand das Gespräch sehr angenehm und habe viel erfahren, was ich vorher nicht wusste und worüber ich mir bisher gar keine Gedanken gemacht hatte.
 


ZazaMonaco: Frau Kibermanis hat zwei jüdische Menschen zu uns in die Anstalt eingeladen, um uns über das Judentum aufzuklären, und auch, um über den Israel-Palästina-Konflikt zu sprechen. Beide waren sehr nette Menschen, mit denen man sich gut unterhalten konnte. Sie waren zwei Stunden bei uns und haben uns viel erzählt. Dass man zum Beispiel nur dann Jude ist, wenn die Mama auch jüdisch ist. Mit einem jüdischen Vater ist man nicht automatisch Jude. Wir haben die beiden auch gefragt, ob die meisten Banken auf der Welt wirklich Juden gehören, und die beiden haben geantwortet, dass das Schwachsinn wäre.

Es war ein sehr nettes Gespräch, von dem ich leider nicht alles mitbekommen habe, weil ich noch einen Termin hatte.


Sefo, Bugsbunny, Che23 und Mr. Afro: Zum Besuch von Gabriel G. und Igor Z. von "Meet a Jew"

Text von Sefo, Bugsbunny, Che23 und Mr. Afro (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)

Sefo: Ich fand Igor und Gabriel sehr nett, ich habe viel mitgenommen – das Gespräch war sehr interessant. Mensch ist Mensch, das war für mich sofort klar. Auch, dass ich zu unseren Gästen natürlich nett und höflich bin. Ich habe sie gefragt, ob sie schon mal den Koran gelesen hätten: der eine nicht, der andere hat es vor. Igor hat mich gefragt, wie oft am Tag Muslime beten. Ich habe geantwortet: fünfmal am Tag. Und Gabriel hat erzählt, dass, wenn sich mindestens zehn Männer zusammenfinden, ein jüdischer Gottesdienst stattfinden kann. Das wusste ich vorher auch nicht.

Wir haben über Israel gesprochen und warum sich die Israelis und die Palästinenser eigentlich so hassen. Sie haben uns die Geschichte von Israel erzählt, auch, dass das ganze Gebiet früher zum osmanischen Reich gehörte. Ich habe mich sehr gefreut, dass diese Begegnung stattgefunden hat.
 


Bugsbunny: Ich fand, diese Begegnung war insgesamt eine tolle Aktion: dass jemand sich die Mühe macht, darüber nachzudenken, wie die Insassen der JVA über Juden denken. Uns wurde es also ermöglicht, zwei Männer, die dem Judentum angehören, kennenzulernen. Vielleicht wurde dadurch die Ansicht einiger Insassen zum Positiven geändert. Für mich persönlich hat sich nichts geändert. Mensch ist für mich Mensch – und diese „gesonderten Gespräche“ machen nur unnötige Unterschiede zwischen uns.
 


Che23: Wir hatten zwei Menschen mit jüdischem Glauben bei uns zu Gast. Igor war Ukrainer und ist damals nach Bayern eingewandert. Später ist er der Liebe wegen nach Norddeutschland gezogen, jetzt ist er Lehrer und hat drei Kinder.

Gabriel war 74 Jahre alt und ist in Amsterdam geboren. Sein Vater war in der Nazizeit im KZ.

Unser Treffen war eine sehr entspannte Runde. Ich hatte das Gefühl, dass es vorher so aufgepusht wurde, dass zwei Juden zu uns kommen. Und als sie dann vor uns saßen, kam es mir ein bisschen komisch vor, als wären sie irgendwie abgestempelt, weil sie Juden sind. In meinen Augen waren die beiden zwei ganz normale Menschen, die an das glauben, woran sie eben glauben. Jeder der beiden hatte seine eigene Geschichte zu erzählen, was ich toll fand. Im Endeffekt fand ich es gut, dass die beiden auch offen und ehrlich waren und ihre eigene Meinung zu unseren Fragen vertreten konnten. Ich fand, es war ein gelungenes Treffen.
 


Mr. Afro: Für die meisten von uns war dieses Treffen mit Gabriel und Igor vielleicht ein besonderes oder wichtiges Gespräch, weil sie vielleicht Probleme mit Juden haben. Oder sie haben irgendwelche Vorurteile. Ich habe kein Problem mit Juden. Ich habe generell kein Problem mit anderen Religionen. Jeder Mensch kann in meinen Augen sein, wie er will, und an das glauben, woran er will – Hauptsache, er nervt mich nicht damit. Wenn ich ein Problem mit einem Menschen habe, dann mache ich ganz bestimmt nicht seine Religion dafür verantwortlich. Wenn jemand etwas gegen eine andere Religion hat, dann ist er einfach dumm und hat seinen Glauben nicht verstanden.


Che23, Sefo und Bugsbunny: Zum Besuch der Zeitzeugen Frauke P. und Manfred H.

Text von Che23, Sefo und Bugsbunny (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)

Che23: Beim Zeitzeugengespräch besuchten uns zwei ältere Menschen – Frauke und Manfred – die als Kinder den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben und uns von ihren Erinnerungen, die sich bei ihnen besonders eingeprägt hatten, erzählten. Manfred war ein sehr gesprächsfreudiger und lustiger Mensch, der trotz seiner traumatischen Erfahrungen auf ein erfülltes Leben zurückblickte. Er erzählte sehr viel, wovon mir besonders drei seiner schlimmen Erfahrungen im Kopf blieben: Die erste war, wie seine Schwester gestorben ist. Die zweite, wie seine Mutter vor seinen Augen von russischen Soldaten missbraucht wurde. Und die dritte, dass ihn ein Pastor aus der Kirche missbraucht hat, anschließend hat Manfred dann eine Tüte Mehl dafür bekommen. Man hat ihm angemerkt, dass ihn der Tod seiner großen Schwester bis heute mitnimmt, weil sie für ihn wie eine zweite Mutter war.

Frauke war ein bisschen zurückhaltender und hat uns unter anderem erzählt, wie sie sich als Kind mit ihrer Familie bei einer Bombenattacke im Keller versteckt hat. Sie hat mehrere Bombardements der Briten auf Hamburg überlebt und anschließend gesehen, wie verheerend die Stadt und die ganze Infrastruktur zerstört waren. Des weiteren hat sie uns erzählt, dass ihr Vater Tierarzt gewesen ist und dann von den Nazis für den Kriegsdienst einberufen wurde. Er wurde im Krieg verwundet und anschließend zur SS-Reiterstaffel geschickt, weil er Tierarzt war, um sich um die Pferde der SS zu kümmern. Sie erzählte auch, dass ihre Familie zuerst Sympathisanten von Hitler gewesen sei, bis sie merkten, was er in Wirklichkeit für ein Tyrann war.

Im Großen und Ganzen hat es mir viel gezeigt, was Krieg mit Menschen macht. Frauke und Manfred haben uns auch Bombensplitter und Bilder aus der NS- und Nachkriegszeit mitgebracht. Es hat viel Spaß gemacht, den beiden zuzuhören.
 


Sefo: Frauke und Manfred waren nette Menschen. Sie erzählten uns über ihre Kindheit und berichteten uns vom Zweiten Weltkrieg und wie er endete. Sie zeigten uns auch Bilder und einen Bombensplitter. So etwas kannte ich schon, es hat mich an schlimme Sachen aus meinem eigenen Leben erinnert.

Manfred hat erzählt, wie seine Schwester im Krieg umgekommen ist, und er hat dabei geweint. Und weil ich wusste, wie er sich gerade fühlt, hatte ich auch fast Tränen in den Augen. Ich bin aufgestanden und habe ihm einen Becher Wasser gebracht. In diesem Moment war eine enge Verbindung zwischen uns, und ich habe mich von Manfred angenommen und verstanden gefühlt. Und ich hatte großen Respekt davor, dass jemand über seine schlimmen Erlebnisse offen reden kann. Ich kann mich nur einem einzelnen Menschen anvertrauen, aber ich könnte so etwas nicht vor einer großen Gruppe erzählen.
 


Bugsbunny: Erstmal möchte ich mich dafür bedanken, dass uns dieses Gespräch überhaupt ermöglicht wurde, und für die Chance, uns weiterzuentwickeln und etwas über Geschichte zu lernen. Sowas ist nicht selbstverständlich, und hoffentlich sehen das die anderen genauso – nicht nur ich.

Ich fand es vor allem interessant, wie viel Trauer ein Mann mit achtzig Jahren noch in sich trägt. Mir hat das gezeigt, dass manche Wunden nie richtig heilen, obwohl man immer sagt, dass die Zeit alle Wunden heilt. Doch bei Manfred war mehr als genug Zeit vergangen, und trotzdem flossen seine Tränen, als wäre der Tod seiner Schwester erst gestern passiert. Auch in Fraukes Gesicht hat man viel Leid gesehen. Ich betrachte immer alles aus einer psychologischen Perspektive, daher widme ich meine Konzentration weniger dem, was erzählt wird, sondern vielmehr dem, wie sie es erzählen, wie sie damals und auch heute noch fühlen. Sind ihre Herzen dadurch schwarz geworden? Haben sie Angst? Das waren die Fragen, die mir bei dem Gespräch durch den Kopf gingen.

Frauke und Manfred waren super Menschen – ich wünsche den beiden ein langes Leben und nur das Beste.


Der Schotte: Zum Besuch der Zeitzeugen Frauke P. und Manfred H.

Text von Der Schotte (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)

Wir hatten zwei Zeitzeugen zu Besuch. Sie sprachen mit uns über den Zweiten Weltkrieg, die Auswirkungen des Krieges, und die Verluste, die der Krieg mit sich brachte. Bevor ich aber auf das Gespräch eingehen möchte, würde ich gerne sagen, dass ich mir die Begegnung mit Frauke und Manfred nicht ansatzweise so spannend und ergreifend vorgestellt hatte. Ich kannte die Zeitzeugengespräche bereits aus meiner Grundschulzeit, damals als Kind war es für mich eher langweilig, weil ich einfach vieles nicht begriffen habe und das Interesse gefehlt hat. Ich habe mich auch nie besonders mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt. Ich hatte ein paar Basisinformationen, die ich in der Schule aufgeschnappt habe, und das Tagebuch der Anne Frank habe ich auch nie zu Ende gelesen. Große Erwartungen hatte ich vor dem Gespräch also nicht – ich dachte mir, dass es bestimmt besser wäre als der Einschluss, den ich ansonsten gehabt hätte.

Ich ging also völlig unvorbereitet in das Gespräch rein, ein paar andere hatten sich vorher Fragen aufgeschrieben und sich vorbereitet. Ich dachte, ich habe gleich zwei grimmig guckende, kaputte Seelen vor mir, die das Leid, das sie erlebt haben, direkt ausstrahlen. Aber mein erster Eindruck von Frauke und Manfred war ganz anders, als ich es erwartet hätte – nämlich das komplette Gegenteil: Ich schaute in zwei freundliche Gesichter, und beide strahlten eine gewisse Freude aus, bei uns zu sein. Sie wollten uns von Anfang an auf Augenhöhe begegnen. Sie stellten sich vor und brachten gleich ein bisschen Gelassenheit in den Raum. Wir lachten gemeinsam, und alle respektierten sich. Die Stimmung hat mir sehr gefallen.

Nachdem sich alle vorgestellt hatten, hatten wir bereits einen kleinen Einblick in das Leben von Frauke und Manfred gewonnen. Manfred hatten einen kleinen Drang, etwas mehr zu reden, aber das hat gar nicht gestört, denn das, was er erzählte, war spannend und gut. Es war sehr krass, was er berichtete: dass sein Vater früh weg war und er sich in sehr jungen Jahren um seine Mutter kümmern musste, und wie er an Geld oder was zu Essen kam, ist manchmal sehr clever gewesen und manchmal auch sehr hart und traurig. Ich stelle mir diese Zeit nicht einfach vor und sehr prägend. Mir fiel auf, dass Manfred die ganze Zeit relativ entspannt erzählen konnte, bis er über den Verlust seiner Schwester sprach. Man fühlte den Schmerz, den er dabei spürte, und merkte, wie diese Geschichte immer noch tief in ihm steckte. Wir alle waren von seiner Geschichte sehr mitgenommen und hatten riesigen Respekt davor, dass er mit uns so offen darüber sprach.

Bei Frauke waren wir eher überrascht, als sie anfing, von ihren schlimmsten Erlebnissen in der Kriegszeit zu erzählen. Sie wirkte neben Manfred zuerst sehr zurückhaltend. Als sie anfing, von einem Bombenangriff zu erzählen, waren alle ganz ruhig und hörten aufmerksam zu. Sie erzählte es so, dass man sich richtig in die Situation reinversetzen konnte – die Todesangst, die sie hatte, und die Stimmung, die dort im Keller herrschte, verteilte sich bei uns im Raum. Ich hatte mir den Krieg immer ganz anders vorgestellt.

Es ist wichtig, dass diese Zeit nicht in Vergessenheit gerät, denn das Leid der vielen Menschen sollte nicht umsonst gewesen sein. Manfred erzählte von 60 Millionen Toten – eine unvorstellbare Zahl, das sind dreiviertel der Einwohner von Deutschland. Ich habe sehr viel über den Krieg gelernt. Ich habe einen Einblick in das Leben in der Kriegszeit bekommen und auch viel von den Zeitzeugen mitgenommen.

Ich bin froh, bei diesem Gespräch dabei gewesen zu sein, und bedanke mich recht herzlich bei Frauke und Manfred, dass sie sich die Zeit genommen haben, zu uns zu kommen. Ihr seid klasse Menschen, und ich wünsche euch weiterhin alles Gute. Manfred, wir glauben dran, dass du auch noch die hundert Jahre knackst!

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DIE HAFTNOTIZEN

Kolumne mit kreativen Texten aus der JVA Hahnöfersand

Die Autoren sind allesamt Jugendliche und junge Erwachsene aus der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand. Sie nehmen an der dortigen Gruppe für kreatives Schreiben teil, mit der fachlichen Begleitung der Autorin und Schreibtrainerin Tania Kibermanis.

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