Haftnotizen Ausgabe 43

Übersicht

In der heutigen Ausgabe der HAFTNOTIZEN wird der Körper zur Leinwand, auf der ein wahrer Bilderrausch entsteht. Menschen mit starken Schmerzen wird diese Art von Rausch eher nicht helfen. Die Autoren fragen sich aber, ob es diesen und anderen Menschen Erleichterung verschaffen würde, wenn Cannabis legal zu erwerben wäre. Die strukturellen Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft lesen sich dagegen viel trüber. Eine besondere Geburtstagskarte dürfte die Stimmung wieder erheblich aufhellen.

Hinweis: Die Klarnamen der Verfasser sind durch Pseudonyme ersetzt.

Meinungsfreiheit

Wie immer ist uns Meinungsfreiheit sehr wichtig – deshalb äußert der jeweilige Verfasser seine ganz persönliche Meinung, die nicht unbedingt vom gesamten Team der Haftnotizen geteilt werden muss.

Schreibtrainerin: Tania Kibermanis


Che23: Was würde ich mir als Tattoo stechen lassen - was ist mein Lebensmotto?

Text von Che23 (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)

Ich werde mir höchstwahrscheinlich den ganzen Oberkörper mit den verschiedensten Motiven volltätowieren lassen. Auf meinem rechten Oberarm soll eine Frau mit Sturmmaske sein, auf der Maske das Sozialismuslogo im Stirnbereich. Das Ganze in Schwarzweiß. Es soll dasselbe Tattoo wie bei meinem Kollegen sein. Oder ich lasse mir Heath Ledger als Joker auf den Oberarm stechen. Auf den rechten Unterarm soll Che Guevara kommen, da ich ein Sympathisant von Che und der kubanischen Revolution bin. Auf den linken Oberarm lasse ich mir einen Adler, dessen Flügel bis auf meine Brust reicht, stechen. Es ist das Lieblingstier meines Vaters und steht für Freiheit. Den linken Unterarm würde ich meiner Mutter widmen – mit welchem Tattoo, das weiß ich noch nicht genau, weil ich unbedingt möchte, dass es was Besonderes wird. Auf das Handgelenk will ich mir den arabischen Buchstaben Elif tätowieren lassen, der für Loyalität und Unbeugsamkeit steht. Auf meiner Brust soll in Halbkreisform „Familie ist alles“ auf Türkisch stehen. Dazu sollen noch weitere Family-Tattoos auf die Brust kommen. Auf den Bauch möchte ich mir einen Wolf tätowieren lassen mit den Worten: „Der Wolf überlebt den Winter, doch er vergisst die Kälte nie“. Das ist auch eins meiner Lebensmottos – egal, wie hart es eine Zeit lang sein kann, man wird es schon überleben und daran wachsen.

Jetzt kommen wir zum Rücken: In der Mitte soll sein Krieger sein, der ein Schwert mit einer Waage vorne dran hält. In der einen Waagschale die Sonne, in der anderen der Mond. Links des Kriegers ein Engel mit Pfeil und Bogen, auf der rechten Seite der Tod mit einer Sense in der Hand. Das letzte Tattoo kommt auf meine Beine – es sind mein Name und der meines Freundes.

Ich habe übrigens noch ein zweites Lebensmotto: Mama, die Welt ist ein Verräter. Was bedeutet: Man sollte nicht immer allem und jedem Vertrauen schenken, weil die Welt unfair ist. Und am wichtigsten ist und bleibt die Familie.


AFG, Rewi, Der Schotte und Mr. Afro: Was halten wir von der Legalisierung von Cannabis in Deutschland?

Text von AFG, Rewi, Der Schotte und Mr. Afro (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)

Wir vier Autoren haben alle eine Meinung dazu, warum die bevorstehende Legalisierung von Cannabis in Deutschland sowohl negative als auch positive Auswirkungen haben kann.


AFG: Meine Meinung zur Legalisierung von Cannabis: Ich finde es positiv. Weil viele Menschen in Deutschland Cannabis konsumieren und bisher noch wegen ein bisschen Kiffen strafrechtlich verfolgt werden konnten. Ich finde, dass es nicht so schlimm ist, Cannabis zu konsumieren, wenn man es nicht übertreibt. In Deutschland wurde es bisher so geregelt, dass der Konsum straffrei war, aber der Besitz von Cannabis dagegen illegal, und viele Menschen in Deutschland konsumieren halt regelmäßig Cannabis, und der deutsche Staat verhaftet so viele Menschen in Deutschland wegen ein paar Gramm Cannabis, obwohl diese Leute es einfach nur selbst rauchen und es nicht haben, um es zu verkaufen.


Rewi: Ich finde es gut, dass Cannabis legalisiert wird, weil damit weniger Leute Probleme mit der Polizei und der Justiz bekommen. Volljährige Menschen in Deutschland können ab April dieses Jahres jetzt wahrscheinlich bis zu 50 Gramm Gras bzw. Haschisch und drei Cannabis-Pflanzen besitzen. Es gibt auch die Idee, Social Clubs mit bis zu 500 Mitgliedern zu eröffnen, ähnlich wie in Amsterdam, wo registrierte Mitglieder direkt im Laden konsumieren können und auch der Verkauf nach draußen über den Laden stattfindet. Ich bin echt gespannt, wie die Legalisierung von Cannabis in Deutschland umgesetzt wird.


Der Schotte: Ich teile die Meinung von AFG und Rewi, doch sehe ich auch, dass die Auswirkungen der Legalisierung von Cannabis auch negativ sein können. Wieso finde ich es negativ? Durch die Legalisierung wird die sogenannte Einstiegsdroge Cannabis für jeden einfach zugänglich gemacht, und somit wird der Weg zu härteren Drogen vereinfacht. Viele Drogendealer hätten ab April mehr Möglichkeiten, ihre Ware in legalen Social Clubs zu verkaufen. Und ich persönlich finde es nicht gut, dass Deutschland den Verkauf von Drogen damit vereinfacht. 


Mr. Afro: Ich finde, es gib viele negative und genauso viele positive Auswirkungen der Legalisierung von Cannabis. Einerseits finde ich es gut, weil viele Menschen es schwer haben, überhaupt an Cannabis ranzukommen. Manche brauchen Cannabis gegen Schmerzen oder zur Beruhigung und können es sich nicht verschreiben lassen, weil sie vielleicht gar nicht krankenversichert sind. Bisher mussten sie es auf der Straße kaufen, was aber auch nicht jeder kann, der nicht die entsprechenden Kontakte hat. Und jetzt mit der Legalisierung haben sie mehrere Möglichkeiten, auf legalem Weg an Cannabis zu kommen und sogar 50 Gramm und drei Pflanzen legal besitzen können.

Ich finde es aber auch wiederum nicht gut, dass Cannabis legalisiert wird, weil jetzt viel leichter an die Einstiegsdroge ranzukommen ist. Viele Menschen fangen zwar mit Alkohol an und sagen, dass das die Einstiegsdroge ist – und jetzt kann man beides zusammen legal konsumieren, was bestimmt nicht ungefährlich ist.


Bugsbunny und Mr. Afro: Das System

Text von Bugsbunny und Mr. Afro (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)

Das System ist unserer Meinung nach inakzeptabel, angefangen bei der Politik. Die Politiker verkaufen uns für dumm, sie sind heuchlerisch. Es sind nichts weiter als Gangster in Anzügen, die zu feige für das Schlachtfeld sind, sie rüsten das Militär auf und schicken Soldaten in den Krieg, den eigentlich sie führen. Geld ist der Grund aller Kriege dieser Welt.

Weiter könnten wir über die Diskriminierung in Deutschland sprechen. Flüchtlinge, sie sind vor dem Krieg in ihrem Land hierher geflüchtet, sie lassen ihre Heimat und oft sogar ihre Kinder, Geschwister, Eltern und Freunde zurück. Könnten Sie sich das vorstellen? Einfach Ihre Siebensachen packen und Ihre Heimat verlassen, alles zurücklassen, was Sie sich aufgebaut haben – Ihren Job, Ihr Zuhause? Sowas wünscht man keinem Menschen.

Sie flüchteten in ein fremdes Land, hierher nach Deutschland. Wir sind uns sicher, dass sehr viele für die Aufnahme in diesem Land dankbar sind. Aber man sollte im Hinterkopf behalten, dass es auch deutsche Waffen sind, vor denen einige geflüchtet sind. Angekommen in diesem wunderschönen Land, wo Sie weder die Sprache noch die Regeln des Landes kennen – es ist ein kompletter Neuanfang, und neben all diesen Belastungen haben Sie auch noch mit Rassismus zu kämpfen. Mit Schikanen jeglicher Art – es fängt beim Bäcker an und hört bei einer Polizeikontrolle und der Wohnungssuche auf.

Wenn Sie als Kind in sozialen Brennpunkten zwischen Drogenhandel und Prostitution aufwachsen, dann werden Sie meistens schon im jungen Alter mit der Polizei konfrontiert. Sie werden schon als Kind wie ein Krimineller behandelt, ohne einer zu sein. Das trifft natürlich nicht auf alle Menschen zu, denen Sie begegnen. Hier wie überall gibt es in jedem Beruf Gute und Schlechte. Allerdings geht es weniger darum, dass sie ihre Arbeit schlecht ausführen, sondern um die Empathie, die viele in ihrem Beruf leider nicht mitbringen. Es ist keine Seltenheit, dass einige sich gezielt Jobs suchen, in denen sie Macht ausüben können, die sie ansonsten im Leben gerne hätten, aber nicht haben.

Sie tun das, was man ihnen sagt, Tag für Tag, und es wird nicht hinterfragt, ob das richtig oder falsch ist. Eigentlich sind sie zu bemitleiden. Sie müssen jeden Monat darum bangen, ihre Miete pünktlich zu zahlen, sie packen Geld zur Seite, um mal für zwei Wochen die Sonne zu sehen, und sie vergessen, nach Feierabend ihre Uniform auszuziehen. Es sind nicht viele von ihnen – aber die können einem das Leben sehr unangenehm machen.

Wir haben keinen Vorschlag, wie man es besser machen kann. Es gibt kein Happy End – falls Sie das erwartet haben, müssen wir Sie enttäuschen. Das System ist am Arsch und das nicht seit gestern. Es gibt keine Erlösung, keine Rettung, weil das Geld immer wichtiger sein wird als ein Menschenleben. Leider. Das einzige, was wir sagen können, ist: Wer den Frieden nicht liebt, hat den Krieg nie gesehen.


Der Schotte für Bugsbunny: Ein bezaubernder Gruß zum Geburtstag

Text von Der Schotte (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)

Bugsbunny hatte gerade Geburtstag. Und er hat eine wunderbare Geburtstagskarte von dem Schotten bekommen, von der wir so bezaubert waren, dass wir sie euch nicht vorenthalten wollen:

Alles Gute zum Geburtstag, mein Brate! Ich wünsche dir nur das Beste, viel Gesundheit, viel Erfolg, und hoffe von Herzen, dass du so schnell wie möglich wieder in der Freiheit bist, bei deiner Familie und deiner Frau. Ich kenne dich nicht lange, aber ich denke, ich kenne dich gut. Du bist ein sehr facettenreicher Typ, und du hast so baba Eigenschaften: ein gutes Herz, bist sehr witzig und hast eine besondere Ausstrahlung. Auch wenn du manchmal etwas verpeilt bist, kann man dir nicht lange böse sein. Man kann dich sehr schwer beschreiben, du bist einfach du. Man kann dich entweder hassen oder lieben – und ich lieb dich, Brudi! Ich danke dir auf jeden Fall für diese schöne Zeit mit dir hier, du hast einige Leute wieder zurückgeholt und den Knast einmal kurz wiederbelebt. Wenn ich eine Sache hier gelernt habe: dass man die wenigen schönen Momente, die man hier hat, genießen sollte. Damals habe ich gesagt, im Knast kann man keine Freunde finden. Mittlerweile denke ich da ganz anders, und ich würde mich sehr freuen, dich draußen wiederzusehen – unter anderen Umständen und unter anderen Leuten. Bis dahin machen wir das Beste aus der Situation und träumen weiter von dem Tag, an dem wir hier raus sind. Bleib, wie du bist, bleib gesund und hab einen schönen Tag.

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DIE HAFTNOTIZEN

Kolumne mit kreativen Texten aus der JVA Hahnöfersand

Die Autoren sind allesamt Jugendliche und junge Erwachsene aus der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand. Sie nehmen an der dortigen Gruppe für kreatives Schreiben teil, mit der fachlichen Begleitung der Autorin und Schreibtrainerin Tania Kibermanis.

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