Woran zeigt sich Ehrlichkeit und welchen Wert hat sie heutzutage noch? Kann man sich immer auf seinen inneren Kompass verlassen, der einem zeigt, was richtig oder falsch ist? Und welche Rolle spielt dabei die eigene Haltung, die täglich unser Handeln bestimmt?
Die Autoren der Haftnotizen positionieren sich dazu sehr klar – mal philosophisch, sehr ehrlich und mit einem Schuss besten Reggaes.
Wir wünschen viele gute Gedanken beim Lesen!
Hinweis: Die Klarnamen der Verfasser sind durch Pseudonyme ersetzt.
Meinungsfreiheit
Wie immer ist uns Meinungsfreiheit sehr wichtig – deshalb äußert der jeweilige Verfasser seine ganz persönliche Meinung, die nicht unbedingt vom gesamten Team der Haftnotizen geteilt werden muss.
Schreibtrainerin: Tania Kibermanis
Gypsy: Wie kommt man gut durchs Leben?
Text von Gypsy (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Meiner Meinung nach kommt man gut durchs Leben, wenn man sich einfach unter dem Radar bewegt. Das heißt: Nicht auffallen, keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Natürlich kannst du dein Leben genau so wie andere führen, mit Party, Freunden, Urlaub und dem ganzen Kram. Wenn ich ehrlich bin, bin ich selbst nicht unbedingt immer unter dem Radar geblieben. Hab viele Fehler gemacht und Leute verletzt – was ich jetzt im Nachhinein extrem bereue. Ich trank früher echt viel und bin dabei eher weniger unter dem Radar geflogen. Habe dann viele Straftaten begangen und wurde irgendwann verurteilt.
Heutzutage denke ich anders als früher. Draußen werde ich ein legales Leben führen – mit Freunden, die einen guten Einfluss auf mich haben. Mit einem normalen Arbeitsleben. Vielleicht werde ich mir irgendwann wieder eine Freundin zulegen oder einfach meine Freiheit genießen. Damals habe ich gar nicht daran gedacht, welche Konsequenzen mein Handeln haben könnte. Jeden Tag hatte ich gefühlt mit der Polizei zu tun. Und machte nur Probleme. Jetzt im Nachhinein ist mir erst klargeworden, wie dumm das alles war. So ein Leben möchte ich auf jeden Fall nicht mehr führen.
Ich werde, glaube ich, nichts Großartiges in meinem Leben erreichen – natürlich werde ich meine Ausbildung abschließen und eine eigene Wohnung beziehen. Heiraten möchte ich nicht, weil man sich seine gegenseitige Liebe auch ohne Ring und Hochzeit zeigen kann. Kinder werde ich auch nicht in die Welt setzen, solange ich nicht finanziell ausgesorgt habe, sodass ich meinen Kindern überhaupt was bieten kann und es ihnen an nichts fehlt. Aber ich denke auch, dass meine Kinder vielleicht noch schlimmer werden könnten, als ich es war – und sollten sie tatsächlich auch nur annähernd so schlimm werden, kriege ich wahrscheinlich schneller graue Haare, als ich gucken kann.
Wenn ich mal tot bin, will ich kein Grab haben, weil ich nicht möchte, dass meine Familie nach meinem Tod für mich noch Geld ausgeben muss. Manchmal ist ein Grab aber doch eine gute Sache: Meine Uroma konnte sich irgendwann nicht mehr an mich erinnern, weil sie Alzheimer hatte. Und in der Anfangszeit meiner Haft ist sie dann verstorben. Nach der Haft kann ich immer an ihr Grab gehen und ihr ein paar Worte sagen. Ich habe sie ja schließlich nicht vergessen. Wenn ich sterbe, will ich danach zu einem Diamanten gepresst werden. Den soll dann mein kleiner Bruder tragen. Warum? Weil ich das fresh finde.
Kookie, 61Kurdi: Soll man immer ehrlich sein?
Text von Kookie und 61Kurdi (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Im ersten Moment sollte man immer ehrlich sein. Ehrlich – aber nicht zu direkt. Zum Beispiel: Dein Freund ist ungepflegt. Dem sollte man jetzt nicht sagen: Du riechst schlecht. Sondern eher: Geh mal Duschen, Zähneputzen oder Ohren waschen.
Wenn du eine Beziehung hast, solltest du ehrlich sein. Wenn sie nicht akzeptiert, dass du einen Fehler gemacht hast, dann soll sie nach Hause gehen, denn wenn du ehrlich bist und sagst, dass du fremdgegangen bist, dann muss sie entscheiden, ob sie bleibt oder nicht, ob sie dir eine zweite Chance gibt – denn du warst ja ehrlich. Und wenn sie fremdgeht, dann sollte sie auch ehrlich sein und es sagen, bevor du es von jemand anderem erfährst. Ich würde es sogar akzeptieren, wenn es Kleinigkeiten sind, zum Beispiel ein Kuss oder ein bisschen rummachen. Aber wenn es was mit Ficken zu tun hat, dann könnte ich es nicht mehr akzeptieren.
Zur Polizei sollte man zwar ehrlich sein, aber wenn du wirklich ehrlich bist, gehst du eher in den Knast. Auch wenn eigentlich das Gegenteil gelten sollte. Wenn du vor Gericht komplett ehrlich bist, dann kriegst du auch mehr Strafe. Tut mir leid, dass ich das so sage, aber das ist meine Erfahrung.
Yobi: Bob Marley – Weltstar aus einem Entwicklungsland
Text von Yobi (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Bob Marley ist ein aus Jamaika stammender Musikstar der 1970er Jahre, der weder mit Rock- noch Popmusik, sondern mit Reggae Weltruhm erlangte. Mit seiner Band The Wailers schaffte er es, einen Sound zu kreieren, der (im Gegensatz zu vielen anderen Reggae-Bands) auch bei der europäischen Zuhörerschaft auf Zuneigung traf.
Mich persönlich begeistert an seiner Musik, dass sie – viel mehr als Rockmusik, die ich sonst gern höre – zum Entspannen geeignet ist. Außerdem sind seine Texte nicht nur durchdacht und übermitteln ein karibisches Lebensgefühl, sondern äußern auch Gesellschaftskritik. So zum Beispiel einer seiner bekanntesten Hits „Get up, stand up“, in dem, wie der Titel schon sagt, es darum geht, seine eigenen Rechte, vor allem als Afrokaribe, zu verstehen und dafür aufzustehen.
Bob Marley hat schon in den 1960er Jahren Reggae gemacht, war dabei aber hauptsächlich nur in Jamaika erfolgreich. Er wurde auch in der westlichen Welt erst dann berühmt, als 1974 Eric Clapton seinen Song „I shot the Sheriff“ 1974 coverte. Es waren Songs wie „No Woman, No Cry“ oder „Could you be loved” die dafür sorgten, dass Bob Marley bis ins 21. Jahrhundert hinein einen sicheren Platz in der populären Kultur behält.
Meine Lieblingslieder von Bob Marley sind „No Women, No Cry“ oder „Redemption Song“. Letzterer ist ein besonders politischer Song: „Won´t you help to sing these songs of freedom, ´cause all I´ve ever had, Redemption Songs”. In diesem Song bekennt sich Bob Marley unter anderem zu seinem starken Glauben und singt, dass er keine Angst vor Atomenergie habe, weil diese die Zeit auch nicht anhalten kann. Musikalisch werden diese Worte dadurch unterstützt, dass Marleys Stimme, im Gegensatz zu den meisten seiner anderen Songs, nur durch sein Gitarrenspiel getragen wird.
Der Song „No Woman, No Cry” ist ein Klassiker. Er beschreibt Lebenseindrücke aus Bob Marleys Heimat: „I remember when we used to sit in the Government Yard in Trenchtown.“ Der Song in seiner Originalversion ist nur drei Minuten lang. Eine weitere sehr bekannte Version ist von einem Livekonzert in London und dauert sieben Minuten. Vielleicht, weil es der Song von Bob Marley mit dem meisten Hit-Potenzial ist, hört man auch im Refrain das gesamte Publikum mitsingen.
Mich begeistert an Bob Marley, dass er es geschafft hat, ein Musik-Genre, welches vorher nur nationale Bedeutung hatte, weltweit populär zu machen.
Lito47: Wieso begeht man Straftaten?
Text von Lito47 (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Ich erkläre euch jetzt, wieso ich oder auch andere Menschen Straftaten begehen. Also, meistens fängt es damit an, dass du in den falschen Kreisen unterwegs bist. Und du siehst, dass deine Freunde oder die Älteren anscheinend besser leben als du – das heißt, ohne Kopfschmerzen oder andere Sorgen, dass du kein Geld mehr hast. Deshalb fängt man an, irgendwie Geld aufzutreiben, zum Beispiel mit Diebstahl, Dealen, Leute abziehen oder Enkeltrickbetrug. Kann auch mal passieren, dass man dabei jemanden schlägt. Oder dass im schlimmsten Fall jemand stirbt.
Ich zum Beispiel habe angefangen, Leute abzuziehen, zu hauen und zu unterdrücken. Dann habe ich gemerkt, dass man damit nicht mal wirklich Geld machen kann. Und habe angefangen, Drogen zu verkaufen. Das hat eine Zeit lang funktioniert – teilweise aber mit Kopfschmerzen. Immer mit der Sorge, dass das Geld nicht reicht. Wieviel kann ich ausgeben, und wann ist Stopp, damit ich nicht wieder ins Minus rutsche?
Ich habe das erste Mal mit dreizehn gekifft, mit fünfzehn dann schon jeden Tag. Ich bin nicht mehr zur Schule gegangen. Habe angefangen, bei meinen Onkels zu arbeiten, im Gartenlandschaftsbau und im Winterdienst. Dann habe ich einen Älteren kennengelernt, mit dem ich zusammen Drogen verkauft habe. Irgendwann kam er zu mir und meinte: „Mo vallah, ich hab was, womit man full Geld macht“. Als ich ihn fragte, was er damit meint, sagte er zu mir, dass wir Autos klauen und verkaufen könnten. Wir haben dann die Autos ausgesucht, die der Käufer wollte, haben die Lage gecheckt und das Auto dann aufgebrochen. Damit hatte ich jeden Tag mein Geld auf Tasche, ungefähr ein Jahr lang, ohne dass ich groß auf meine Ausgaben achten musste. Aber im Endeffekt lohnt sich das alles nicht, weil ich jetzt im Knast bin.
Jetzt hat meine Familie unnötig Kopfschmerzen und macht sich Sorgen. Ich will damit sagen: Geht lieber den geraden Weg, zieht eure Schule durch, arbeitet. Es wird euch später auch gut gehen, mit ganz normaler Arbeit.
BigMus: Was will ich meinen Kindern vermitteln?
Text von BigMus (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Ich würde meinen Kindern gern gute Werte mitgeben, zum Beispiel immer respektvollen Umgang mit Menschen – egal, ob man Vorurteile hat oder nicht, oder ob man die Person kennt oder nicht. Und Dankbarkeit ist wichtig. Denn egal, wie wenig man hat, man sollte immer dankbar dafür sein. Weil man ja nie weiß, wann das Leben vorbei ist.
Und last but not least ist Loyalität sehr wichtig. Meine Kinder sollen loyale und gute Menschen sein. Und einzigartig. Ich werde meine Kinder immer mit Liebe erziehen, denn ich bin leider nicht so aufgewachsen – zumindest, was meinen Vater betrifft. Ich bin mit sehr viel Gewalt aufgewachsen, das wünsche ich wirklich keinem Kind. Denn was in der Kindheit passiert, prägt einen das ganze Leben lang. Das weiß ich aus eigener Erfahrung, und es ist beschissen, so eine Last mit sich herumzutragen. Diese Last würde ich meinen Kindern gerne ersparen wollen, deshalb werde ich sie aufarbeiten, bevor ich Kinder bekomme.
Meine Kinder sollen hilfsbereite Menschen werden, denn wenn man anderen Menschen hilft, dann sind sie auch für dich da, wenn du mal Hilfe brauchst.
Feedback
Die Verfasser der Artikel freuen sich sehr über Feedback zu ihren Texten. Schreibt uns gerne Lob und Kritik an jugendinfo@bsfb.hamburg.de und wir leiten eure Rückmeldungen (anonymisiert) weiter.
DIE HAFTNOTIZEN
Kolumne mit kreativen Texten aus der JVA Hahnöfersand
Die Autoren sind allesamt Jugendliche und junge Erwachsene aus der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand. Sie nehmen an der dortigen Gruppe für kreatives Schreiben teil, mit der fachlichen Begleitung der Autorin und Schreibtrainerin Tania Kibermanis.