Toni35 hatte seine Qual mit der Bundestagswahl und ist sich auch nach dem 23.2. immer noch nicht sicher, ob seine Kreuze tatsächlich die richtigen waren. Das Thema „Remigration“ und der (schlechte) Einfluss von TikTok, insbesondere auf jüngere Kinder, führen bei Mr. Afro dazu, sich ernsthaft Gedanken über Auswanderung zu machen. Flucht und Verweigerung sind für Kookie keine Option, ganz im Gegenteil. Er hält dagegen. Dass man Gott nicht für die globalen Krisen verantwortlich machen sollte, die Menschheit aber für den Klimawandel, steht für Yobi und Mr. Gypsy außer Frage. Die Themen unserer Autoren könnten aktueller nicht sein und zeigen, dass man auch hinter Gittern seinen offenen Blick auf das Weltgeschehen nicht verliert.
Wir wünschen gute Gedanken beim Lesen!
Hinweis: Die Klarnamen der Verfasser sind durch Pseudonyme ersetzt.
Meinungsfreiheit
Wie immer ist uns Meinungsfreiheit sehr wichtig – deshalb äußert der jeweilige Verfasser seine ganz persönliche Meinung, die nicht unbedingt vom gesamten Team der Haftnotizen geteilt werden muss.
Schreibtrainerin: Tania Kibermanis
Toni35: Zu den Bundestagwahlen
Text von Toni35 (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Am 23.2. wurde bei uns in Deutschland gewählt. Ich habe die Partei „Die Partei“ gewählt, aber irgendwie verstehe ich nichts. Ich vertraue Deutschland nicht wirklich. Die AfD hat über 20% erhalten, und ich frage mich – warum? Ich behaupte ja nicht, dass alle Nazis sind, die die AfD gewählt haben, jedoch habe ich ein mulmiges Gefühl dabei, jeden Tag Menschen zu begegnen, von denen ich überhaupt nicht weiß, ob sie mich überhaupt hier haben wollen oder nicht.
Ich habe vor den Wahlen den Wahl-O-Mat gemacht, traue dem aber auch nicht richtig. Ich merke, ich hätte mich vorher mehr damit auseinandersetzen sollen. Ich kenne „Die Partei“ nicht, aber als ich sie gewählt habe, wusste ich, dass sie nicht in den Bundestag kommen würde. Ich vertraue Deutschland nicht, weil sich in den letzten Jahren viele Dinge verändert haben, womit ich nie gerechnet hätte. Mittlerweile kann alles passieren. Ehrlich gesagt, schockiert mich das Wahlergebnis der AfD – ich wusste, dass sie viele Stimmen bekommen würde, aber nicht so viele. Ich weiß auch, dass das nicht alles Nazis sind, man kann nicht alles und jeden über einen Kamm scheren.
Ich hätte mir gewünscht, dass eine faire Partei die Wahlen gewinnt. Eine, die sich für die Bürger interessiert und sich für ihr Wohl einsetzt. Wir möchten keine Angst davor haben, uns irgendwann in unserer Heimat nicht mehr sicher zu fühlen oder nicht mehr hierbleiben zu können. In letzter Zeit fielen des Öfteren die Worte „Remigration“ und „bio-deutsch“ – mein Zuhause ist hier, und ich kenne nichts anderes als Deutschland und das deutsche System. Ich liebe Deutschland, aber ich habe Angst vor der Zukunft.
Mr. Afro: Wenn ich ausreisen müsste – wo würde ich hingehen?
Text von Mr. Afro (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Ich würde in die Schweiz auswandern, weil ich finde, dass es dort weniger Probleme gibt als in der EU. Oder nach Frankreich, weil ich dort Familie habe. Wenn ich irgendwo hin flüchten müsste, dann wohl nach Guinea, weil mein Vater dort ein Haus hat. Es ist dort immer warm, selbst wenn es regnet, braucht man nur ein T-Shirt. Die Menschen machen dir Essen mit Liebe. Sobald du den Flughafen verlässt, wirst du sofort mit guter Laune überschüttet.
Man muss sich mittlerweile schon mal Gedanken darüber machen, weil in Deutschland gerade viel übers Auswandern und Abhauen gesprochen wird. Auch viele Rentner wandern aus den verschiedensten Gründen aus. Das Leben in Deutschland entwickelt sich schon seit längerem in eine schlechte Richtung. Die AfD kriegt immer mehr Stimmen. Die Leute hier wollen die Ausländer raushaben, weil sie Angst haben. Die Deutschen haben Frust auf die Ausländer, und die Ausländer haben Frust auf die Deutschen. In den Nachrichten sieht man nur noch Diskussionen über Ausländer und Abschiebungen. Was kann man machen, um die Ausländer besser zu integrieren? Zwischen diesen ganzen Diskussionen passieren immer mehr Anschläge.
Ein anderes Thema, das mich stört, ist, dass die jüngeren Generationen immer kaputter und respektloser werden. Ich glaube aber, dass das nicht nur in Deutschland so ist. Und dass es auf jeden Fall viel mit dem Internet zu tun hat. Schon kleine Kinder haben Zugriff auf das Internet und können sich alles angucken, ohne Altersbeschränkung. In jungen Jahren nimmt man ja am meisten auf. Und in dieser Phase fangen Kinder schon an, süchtig nach dem Internet zu werden. Sie lernen komplett falsche Sachen und falsche Werte. Ich würde sagen: Die Krönung von allem ist TikTok. Diese App macht so viele kleine Kinder kaputt. Sie wachsen damit auf und glauben, dass die Welt so ist, wie sie sie auf TikTok sehen. Ich frage mich, wie es in zwanzig Jahren sein wird.
Ich habe schon etwas Angst vor der Zukunft, wenn ich mir vorstelle, dass ich hier meine Kinder großziehen werde. Wenn sich hier nichts ändert, werde ich hundertprozentig auswandern, schon allein wegen meiner Kinder. Generell habe ich das Gefühl, dass die Menschen in Deutschland immer schlecht gelaunt sind. Ich weiß aber nicht, ob es an dem Leben hier oder eher an der Mentalität liegt. Im Fernsehen wird oft über sowas geredet. Und ich glaube, es gibt sogar Studien darüber.
Ich habe eigentlich schon länger den Gedanken, dass ich irgendwann auswandere. Erstmal will ich aber in Deutschland mein Geld machen, damit ich mir damit woanders etwas aufbauen kann. Oder wenigstens erstmal eine abgeschlossene Ausbildung, bzw. eine vernünftige Arbeit haben. Denn wenn ich jetzt in ein anderes Land gehen würde, dann wäre es viel schwieriger als hier, mir etwas aufzubauen. Hier in Deutschland weiß ich, wie alles läuft, und ich beherrsche die Sprache. Aber wenn ich eine Ausbildung abgeschlossen habe, dann wäre es gut, wenn ich zumindest Grundkenntnisse in der Sprache hätte, die man in dem Land, wo ich hingehen will, spricht. Oder zumindest fließend Englisch – das ist mein Plan.
Yobi: Wenn Gott allmächtig ist, warum beendet er nicht das Leid auf der Welt?
Text von Mr. Yobi (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Eine typische Antwort ist, dass Gott die Menschheit geschaffen hat, sich aber nicht um alle ihre Probleme kümmert. Dem ist vorausgesetzt, dass es einen Gott gibt. Gott ist also für die reine Existenz der Menschheit verantwortlich; was die Menschheit dann allerdings unter sich anstellt, ist nicht mehr seine Angelegenheit.
Es lässt sich kritisieren, dass es ja auch solche und solche Menschen gibt. Die allermeisten Bürgerinnen und Bürger wollen einfach friedlich ihrem Alltag nachgehen und keinem Menschen etwas antun. Leider kommen diese Menschen auch mit Gewalt und Krieg in Kontakt, obwohl sie es gar nicht wollen. So zum Beispiel in Israel oder in der Ukraine.
Als Protestant ist meine persönliche Meinung, dass Gott einem schon insoweit helfen kann, dass er Gebete erhört und sich um den Seelenfrieden der Christen sowie aller anderen Menschen kümmert. Seine Liebe und Fürsorge sind einfach nicht so zu gebrauchen, dass er auf „magische“ Weise beispielsweise Kriege beendet. Vielleicht würde es sogar mehr Kriege geben, wenn Gott sich häufiger einmischen würde. Kriege könnten damit gar nicht mehr als etwas Besonderes gesehen werden und wären viel üblicher.
Schlussendlich halte ich es also weder für etwas Gutes oder Schlechtes, dass Gott sich in Konflikte nicht einmischt, sondern mehr für etwas Natürliches. Es ist nicht Gottes Aufgabe, Gewalt zu verhindern, sondern eine Angelegenheit der Menschen selbst.
Kookie: Meine Meinung zur Bundeswehr
Text von Kookie (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Ich würde zum Bund gehen, weil man dort eine Aufgabe hat. Es können auch verschiedene Aufgaben sein – zum Beispiel jeden Tag seine Waffe zu pflegen oder auch seine Schuhe zu putzen. Aber ich würde auch zum Bund gehen, um Europa zu verteidigen. Die Leute, die nicht kämpfen, kann ich nicht verstehen, denn sie wollen ja schließlich hier leben, und irgendwer muss sie verteidigen. Ich bin hier in Deutschland geboren und aufgewachsen. Und ich würde auch für meinen Stolz zur Armee gehen. Ich denke, beim Bund lernt man Disziplin. Es wird einem beigebracht, sein Bettzeug jeden Morgen frisch zu falten, sich den Bart ordentlich zu rasieren und respektvoll mit Autoritätspersonen zu reden und sich anständig zu verhalten. Respekt ist für mich so, wie ich selbst behandelt werden will. Und es ist eine Vereinbarung, die alle miteinander treffen.
Ich finde, zum Bund zu gehen, sollte Pflicht sein, denn meine Generation ist verweichlicht, respektlos und undankbar. Beim Bund lernt man Respekt vor Älteren und Vorgesetzten. Und man wird dankbarer für kleine Sachen.
Außerdem ist mir Ordnung wichtig, denn damit fühle ich mich besser. Zum Beispiel muss ich jeden Tag in meiner Zelle staubsaugen, oder ich mache jeden Tag mein Bett frisch oder falte meine frisch gewaschene Wäsche. Ich mache das, weil ich es will.
Würde ich zum Bund gehen, dann würde ich mich für die Bodentruppe melden. Denn da lernt man Nahkampf und den Umgang mit Handwaffen. Ich glaube, ich würde gut zum Bund passen. Das Einzige, was mir noch fehlt, ist Respekt.
Gypsy: Wie die Welt in zehn Jahren aussehen könnte
Text von Gypsy (Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
Meiner Meinung nach werden in zehn Jahren durch die ständige Klimaerwärmung eine Menge Eis und Gletscher geschmolzen sein. Deswegen sind meine Bedenken, dass durch das Abschmelzen des Eises gefährliche Viren und Krankheiten aus vergangener Zeit wieder in Umlauf kommen könnten. Und da es früher keine Labore gab – nicht mal im Ansatz mit den Kapazitäten von heute – weiß man gar nicht, mit welchen Erregern man es überhaupt zu tun hat. Und deshalb wird es auch wieder sehr lange dauern, um einen Wirkstoff gegen diese Krankheiten herzustellen, ähnlich wie bei Covid-19. Das hat auch viele Opfer gefordert, bis dann ein Impfstoff hergestellt wurde. Der meiner Meinung nach kompletter Scheiß war. Ich habe mich auch nicht impfen lassen und lebe trotzdem noch. Deshalb glaube ich, dass es bei der nächsten Seuche deutlich schlimmer wird als es bei Covid der Fall war, mit den ganzen Lockdowns und Impfengpässen. Deswegen sollten wir auf jeden Fall jetzt schon auf die Klimaerwärmung achten, damit – falls da etwas im Eis eingefroren ist, was uns krankmachen könnte – nicht so schnell freigesetzt wird.
In zehn Jahren wird durch das Schmelzen der Gletscher und an den Polen auch der Meeresspiegel rapide ansteigen. Das heißt, dass die ganzen Städte, die direkt am Meer liegen, größtenteils unter Wasser stehen werden.
Ich denke auch, dass es in zehn Jahren eine Menge Kiffer-Shops geben wird, wo man dann auch reines Cannabis kaufen kann, das nicht mit irgendeinem Scheiß gestreckt wird. Ich hoffe, dass damit auch der Schwarzmarkt auf der Straße zurückgeht, weil die Leute dann im Shop beraten werden und gutes Zeug erwerben können.
In zehn Jahren werden die Fischbestände auch zurückgegangen sein, wenn wir die Meere weiter so überfischen. Und auch die Meeresverschmutzung wird durch den ganzen Plastikmüll steigen. Wenn wir nicht bald was dagegen unternehmen, wird das nicht mehr so rosig sein.
In zehn Jahren könnten auch immer extremere Klimakatastrophen eintreten: So wie mit dem steigenden Meeresspiegel immer größere bewohnte Flächen überflutet werden, müssen auch immer größere Menschenmengen ins Landesinnere umziehen. Genauso können die Temperaturen extrem steigen, sodass auch manche Landstriche auf der Erde unbewohnbar werden. Und durch die Hitze wird man in manchen Ländern nichts mehr anbauen können, weil die Erde nicht mehr fruchtbar genug und viel zu vertrocknet ist, um dort noch zu leben.
In zehn Jahren könnte auch die KI-Technologie so weit vorangeschritten sein, dass manche Arbeiten wie in Lagerhallen oder an Poststationen durch KI-betriebene Maschinen übernommen werden, und dass uns so gesehen, damit die Jobs weggenommen werden. Da muss man schon aufpassen, für welchen Job man sich entscheidet. Deswegen werde ich auch einen Beruf erlernen, den mir keine KI-betriebene Maschine wegnehmen kann.
Mir persönlich macht es schon Angst, wie die Welt in zehn Jahren aussehen könnte.
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DIE HAFTNOTIZEN
Kolumne mit kreativen Texten aus der JVA Hahnöfersand
Die Autoren sind allesamt Jugendliche und junge Erwachsene aus der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand. Sie nehmen an der dortigen Gruppe für kreatives Schreiben teil, mit der fachlichen Begleitung der Autorin und Schreibtrainerin Tania Kibermanis.